6.9.66

Fahrenheit 451 (François Truffaut, 1966)

Fahrenheit 451

François Truffauts Ausflug ins Science-Fiction-Genre (der sein einziger bleiben wird) beschreibt (nach dem gleichnamigen Roman von Ray Bradbury) eine Gesellschaft, in der Bücher (wie überhaupt alles Geschriebene) streng verboten sind, da individuelle Lektüre der herrschenden gleichschalterischen Ideologie widerspricht. Jedermann (und jedefrau) soll dasselbe denken, glauben, fühlen: »We've all got to be alike. The only way to be happy is for everyone to be made equal.« Pillen und televisionäre Dauerberieselung sorgen für den gewünschten ausgeglichenen Gemütszustand der Allgemeinheit, während sich die Feuerwehr um die brandheiße Vernichtung (»Fahrenheit four-five-one is the temperature at which book paper catches fire and starts to burn.«) sämtlichen aufgefundenen Schriftgutes kümmert ... Daß Truffaut, seines Zeichens nicht nur ein fanatischer Cinéast sondern auch ein leidenschaftlicher Leser, von diesem Sujet fasziniert war, kann nicht erstaunen, doch erscheint die plötzliche Verwandlung des Feuerwehrmannes Guy Montag (Oskar Werner) vom überzeugten Büttel des System zum souveränen Leser wenig glaubwürdig, und weder das stockpuppenartige Auftreten der Darsteller (neben Werner: Cyril Cusack als väterlich-strenger Feuerwehrhauptmann und Julie Christie in einer wenig sinnvollen Doppelrolle) noch die spielzeuglandhafte Ausstattung oder Bernard Herrmanns exaltierter Soundtrack tragen dazu bei, eine Atmosphäre wahrer Beunruhigung zu schaffen. Allein das winterliche Ende des Films, das Menschen zeigt, die freiwillig zu Büchern werden, um das literarische Erbe zu bewahren, läßt in seiner unheimlichen Konsequenz erschauern.

R François Truffaut B François Truffaut, Jean-Louis Richard V Ray Bradbury K Nicolas Roeg M Bernard Herrmann A Syd Cain S Thom Noble P Lewis M. Allen D Julie Christie, Oskar Werner, Cyril Cusack, Anton Diffring, Bee Duffell | UK | 113 min | 1:1,66 | f | 6. September 1966

# 1068 | 31. Juli 2017

Der Bucklige von Soho (Alfred Vohrer, 1966)

Die erste farbige Edgar-Wallace-Adaption, ein Werk des Übergangs – Regisseur Alfred Vohrer testet die neuen Möglichkeiten eher zurückhaltend aus. Das forcierte Helldunkel, das die Bildinszenierungen der Krimi-Reihe bislang beherrschte, findet (noch) keine Entsprechung in der Kolorierung des Schurkenstücks: Orte des Schreckens, wie eine (un-)heimliche Folter-Waschküche, ein intriganter Mädchenschlafsaal oder ein kombinierter Spiel- und Sexclub, zeigen sich in kühlen Grau-, Beige- oder Falschgoldtönen. Auch die Themenwahl verspricht kaum Überraschungen: verfolgte Unschuld und eine satte Erbschaft, ein familiäres Doppelspiel und fiese Verbrechen hinter der (Papp-)Fassade von (christlich verbrämter) Wohlanständigkeit. Einen Coup landet Vohrer allerdings in Fragen der Besetzung: Neben Darstellern, denen die Gemeinheit auf der Stirn geschrieben steht (Pinkas Braun, Hilde Sessak, Gisela Uhlen), verleihen zwei immerkomische Alte und eine ewige Witzfigur dem abgrundtief Bösen ein vertraut lächelndes Gesicht.

R Alfred Vohrer B Herbert Reinecker V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Susanne Paschen P Horst Wendlandt D Günther Stoll, Eddi Arent, Monika Peitsch, Pinkas Braun, Siegfried Schürenberg | BRD | 89 min | 1:1,66 | f | 6. September 1966

# 795 | 10. November 2013

5.9.66

De man die zijn haar kort liet knippen (André Delvaux, 1966)

Der Mann, der sich die Haare kurz schneiden ließ

Liebe, Schönheit und Tod oder Die Ballade vom richtigen Leben … Govert Miereveld, Jurist, Familienvater, Lehrer an einem Mädchengymnasium, verliert sein Herz an die Schülerin Fran, freilich ohne ihr seine Zuneigung zu gestehen. Nach dem Abgang der hoffnungslos Angebeteten (die sich auf dem Diplomfest mit einem brechtisch-weillschen Chanson –»Was morgen kommt, kann schlimmer sein. / Was morgen kommt, kann besser sein.« – verabschiedet), quittiert auch Govert den Schuldienst, um sein Dasein fortan als Gerichtsbeamter zu fristen. André Delvaux erzählt, gleichzeitig als Innenschau und Außenansicht, die Geschichte einer unbezähmbaren Erotomanie, eines süßen Wahns, den der Liebeskranke weniger als rauschhafte Ekstase denn als lähmenden Erschöpfungszustand erlebt … Jahre später, nachdem er kurz zuvor als angewiderter Zeuge der Exhumierung eines mutmaßlichen Bankräubers beigewohnt hatte, trifft Govert die vergötterte Frau (die mittlerweile eine gefeierte Sängerin ist) zufällig wieder. Ob die folgende innige Aussprache tatsächlich stattfindet oder sich nur in der Phantasie eines Verrückten abspielt, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob Govert Fran tatsächlich getötet hat oder lediglich aufgrund seiner geistigen Zerrüttung in eine Heilanstalt eingewiesen wurde. So ambivalent wie die Hauptfigur Govert (≈ göttlicher Friede) Miereveld (≈ Ameisenhaufen) erscheint der ganze Film: Alles in Ghislain Cloquets so einfachen, so rätselhaften Schwarzweißbildern schwebt, schwimmt, schwankt, zwischen Sehnsucht und Begierde, zwischen Wachen und Träumen, zwischen Transparenz und Undurchsichtigkeit, zwischen Märchen und Schreckensnachricht.

R André Delvaux B André Delvaux, Anna de Pagter V Johan Daisne K Ghislain Cloquet M Frédéric Devreese A Jean-Claude Maes S Suzanne Baron P Paul Louyet, Jos Op De Beek D Senne Rouffaer, Beata Tyskiewicz, Hector Camerlynck, Paul s’Jongers, François Bernard | B | 98 min | 1:1,66 | sw | 5. September 1966

# 846 | 15. März 2014

Abschied von gestern (Alexander Kluge, 1966)

»Uns trennt von gestern kein Abgrund, sondern die veränderte Lage.« Der ziellose Weg einer jungen Frau durch die Bundesrepublik: Anita G., jüdischer Herkunft, Zonenflüchtling, ohne festen Wohnsitz, lebt aus dem Koffer, sucht eine Perspektive, will Anschluß und Austausch, eckt jedoch ständig an, bleibt außen vor, rutscht ab. Die filmische Aufbereitung ihres »Falls«, vorgetragen als fragmentarisches Protokoll, als ausschnitthafte Bewegungsstudie, als soziales Rollenspiel, erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit – Anita dient nicht als Exempel, sie bleibt Unikat. Alexander Kluge beobachtet allerdings, indem er sich seiner Zielperson an die Fersen heftet, ihr durch Hotels, Kaffeehäuser, Apartments, Universitäten, Gefängnisse folgt, eine Vielzahl von Situationen, die beispielhaft gesellschaftliche Gegebenheiten (Verdinglichung, Fremdbestimmung, Kontaktarmut) beschreiben; überhaupt ist der Autor ein begeisterter Sammler – von Gegenständen und Typen, von Zitaten und Momenten –, der aus seinen objets trouvés eine Art kinematographisches Fundbüro errichtet: »Abschied von gestern« gleicht einem assoziativen Depot des Alltags, ist hypothetisches Dokument und konkrete Fiktion westdeutscher Wirklichkeiten. Die Unbehaustheit der Protagonistin (≈ ihre dornige, allseits schief beäugte Freiheit) manifestiert sich dabei immer wieder in starken Bildern, etwa wenn die heimatlose Anita ihren Koffer über eine nicht enden wollende Brücke trägt, oder wenn sie ihre Morgentoilette am Ufer eines Flusses erledigt. PS: »Jeder ist an allem schuld, aber wenn das jeder wüßte, hätten wir das Paradies auf Erden.«

R Alexander Kluge B Alexander Kluge V Alexander Kluge K Edgar Reitz, Thomas Mauch M diverse S Beate Mainka-Jellinghaus P Alexander Kluge, Heinz Angermeyer D Alexandra Kluge, Hans Korte, Günther Mack, Werner Kreindl, Alfred Edel | BRD | 88 min | 1:1,37 | sw | 5. September 1966

2.9.66

The Brides of Fu Manchu (Don Sharp, 1966)

Die 13 Sklavinnen des Dr. Fu Man Chu

»You have no will, no mind of your own.« Fu Manchu, in giftig glänzendes Smaragdgrün gewandet, will einmal mehr die Weltherrschaft an sich reißen und erweist sich dabei als östlicher Pervertierer westlicher Fortschrittseuphorie: Seine Schergen entführen zu Erpressungszwecken die Töchter genialer (wiederum europäischer) Wissenschaftler, deren kombinierte Forschungsergebnisse die Übermittlung von Zerstörungsenergie via Radiowellen ermöglichen. Am Fuße des marokkanischen Atlasgebirges unterhält der Teufel in Chinesengestalt in einer umgenutzten antiken Tempelanlage seine hochmoderne Leitzentrale, in der zum einen die schönen Frauen als lebende (und hörige) Faustpfände einsitzen, von der aus zum anderen die tödlichen Strahlen in den Äther gefunkt werden. Abermals von Don Sharp ins Werk gesetzt, entbehrt der zweite Teil der Reihe leider sowohl der gelassenen Stilsicherheit des Vorgängers wie auch der kühl-effektvollen Ausmalung von Gefahr: Weder jene Szene, die die ostentative Zerstörung eines Dampfschiffs zeigt, noch der Angriff auf eine hochkarätig besetzte Arms Conference, deren Teilnehmer sich in der Londoner St. Paul’s Cathedral versammeln, schöpfen das vorhandene Spannungspotential auch nur ansatzweise inszenatorisch aus. »In a few moments the entire world will capitulate to me«, phantasiert Fu Manchu; seinem entschlossenen Verfolger Nayland Smith (Sherlock-Holmes-Darsteller Douglas Wilmer ersetzt Nigel Green) gelingt es, wie zu erwarten war, eben dies zu verhindern, freilich ohne das schlitzäugige Grundübel endgültig ausmerzen zu können: »The world shall hear from me again.«

R Don Sharp B Peter Welbeck (= Harry Alan Towers) V Sax Rohmer K Ernest Steward M Bruce Montgomery A Frank White S Allan Morrison P Harry Alan Towers D Christopher Lee, Douglas Wilmer, Heinz Drache, Maria Versini, Tsai Chin | UK & BRD | 93 min | 1:1,85 | f | 2. September 1966

# 865 | 22. Mai 2014