5.3.74

Angst essen Seele auf (Rainer Werner Fassbinder, 1974)

»Das kann keiner, ohne die andern leben.« Emmi Kurowski (Brigitte Mira) – Putzfrau um die 60, lange schon verwitwet, Mutter von zwei Söhnen und einer Tochter, die alle ihr eigenes Ding machen – will gar nicht ohne die anderen leben, ganz im Gegenteil, sie sucht Ansprache und menschliche Nähe; doch als sie sich in den 20 Jahre jüngeren Marokkaner El Hedi ben Salem m’Barek Mohammed Mustafa, kurz ›Ali‹ genannt, verliebt und ihn heiratet, muß sie es notgedrungen tun: Die Nachbarn tuscheln giftig, die Kolleginnen reden nicht mehr mit ihr, der Lebensmittelhändler verweigert ihr die Bedienung, die eigenen Kinder nennen sie eine Hure … Ein beklemmend nüchterner Film, erzählt in schmucklos-ausgefeilten Bildern (Kamera: Jürgen Jürges), ein Film über Anspruch und Wirklichkeit, über das Wollen und das Dürfen: Mit »Angst essen Seele auf« verwandelt Rainer Werner Fassbinder Douglas Sirks großbürgerliches Melodram »All That Heaven Allows« in ein kleinbürgerliches Trauerspiel. Hier wie dort sind es nicht nur die Verhältnisse, die den Menschen einsperren, einmauern, einsargen, es ist der Mensch selbst, der dafür sorgt, daß das Glück nicht immer lustig ist. Fassbinder erfüllt Emmis im tiefsten Unglück geäußerten Wunsch, daß sich alles verändern solle, daß alle Leute gut sein mögen, und gnadenlos ironisch läßt er die wahren Konflikte aufbrechen, als die äußere Drangsal überwunden ist. Weder Emmis naive Illusionen (»Wir werden reich sein, und dann kaufen wir uns ein Stückchen Himmel zusammen.«) noch Alis nachvollziehbare Resignation (»Nix viel denken, gut. Viel denken, viel weinen.«) sind geeignet, die Konventionen auszuhebeln. Eine Chance böte, vielleicht, die verständnisvolle Gemeinschaft: »Wenn wir zusammen sind, dann müssen wir gut sein zueinander, sonst ist das ganze Leben nichts wert. Zusammen sind wir stark.« Ob diese Hoffnung sich erfüllen kann, bleibt freilich mehr als ungewiß.

R Rainer Werner Fassbinder B Rainer Werner Fassbinder K Jürgen Jürges A Kurt Raab S Thea Eymèsz P Rainer Werner Fassbinder D Brigitte Mira, El Hedi ben Salem, Barbara Valentin, Irm Hermann, Elma Karlowa | BRD | 93 min | 1:1,37 | f | 5. März 1974

# 895 | 9. Juli 2014

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