25.6.43

Romanze in Moll (Helmut Käutner, 1943)

Ein Mann kommt spät nach Hause, leicht beschwipst, gut gelaunt, er hat beim Kartenspiel ein hübsches Sümmchen gewonnen. Seine Frau liegt schon im Bett, schläft, tief, sehr tief, sie hat sich vergiftet. Um das Leben der Frau zu retten, um die Ärzte bezahlen zu können, will ihr Mann, ein kleiner Bankangestellter, einige Dinge im Pfandhaus versetzen, wo er erfährt, daß es sich bei ihrem, von ihm für wertlos gehaltenen, Kaufhausschmuck um ein exorbitant teures Perlencollier handelt, erworben beim ersten Juwelier der Stadt … Die schimmernde Kette verbindet vier Personen zu einem delikaten Pariser Belle-Époque-Melodram – im Mittelpunkt: die ätherische, rätselhaft lächelnde Madeleine (Marianne Hoppe); um sie herum: ihr selbstgefällig-kleinkarierter Gemahl (Paul Dahlke), ein charmant-leichtfüßiger Komponist (Ferdinand Marian), dessen Muse und Geliebte sie wird, sowie ein aalglatt-possessiver Lebemann (Siegfried Breuer), der allen (einschließlich sich selber) das Verderben bringt. Helmut Käutner komponiert seine »Romanze in Moll« als wehmütige Kinodichtung zwischen Tag und Träumen, als helldunkles Arrangement voller visueller Nuancen und moralischer Zwischentöne: Über keinen wird der Stab gebrochen, nicht über die ungetreue Liebende, nicht über den blinden Gatten, nicht über den sorglosen Künstler; und noch der Schurke, der die Ehebrecherin erpreßt, wird ernstgenommen als bedauernswertes Opfer seiner zerstörerischen Triebe. Käutners ästhetischer Fatalismus erinnert an Marcel Carné, seine opulente Ironie an Max Ophüls, seine inszenatorische Sensibilität steht für sich und in der deutschen Filmgeschichte ziemlich allein auf weiter Flur. PS: »Haben wir wirklich ein Recht auf Glück?«

R Helmut Käutner B Helmut Käutner, Willy Clever V Guy de Maupassant K Georg Bruckbauer M Lother Brühne, Werner Eisbrenner A Otto Erdmann, Franz F. Fürst S Anneliese Sponholz P Hermann Grund D Marianne Hoppe, Ferdinand Marian, Paul Dahlke, Siegfried Breuer, Anja Elkoff | D | 100 min | 1:1,37 | sw | 25. Juni 1943

The Leopard Man (Jacques Tourneur, 1943)

»Cats are funny, mister. They don’t want to hurt you, but if you scare them they go crazy.« Eine kleine Stadt in New Mexico: ein schwarzer Panther ist entlaufen, Angst geht um, eine junge Frau kommt zu Tode, die Ahnung wächst, daß etwas anderes durch die Straßen schleicht als das blutdürstige Raubtier. Geheimnisvoller Thriller, sachter Horrorfilm, finstere Romanze – nach einem Roman von Cornell Woolrich erzählt Jacques Torneur in kunstvollen Licht- und Schattenspielen von den geheimnisvollen Kräften, die das Leben antreiben wie einen leeren Ball, der auf der Spitze einer Fontäne tanzt. Elegant verknüpft das Drehbuch eine Vielzahl von Episoden und Figuren zu einem tödlichen Schicksalsreigen: eine glücklose Nachtclubsängerin und ihren ehrgeizigen Agenten, einen kreuzbraven Schausteller, eine taktvolle Wahrsagerin, einen nachdenklichen Museumsdirektor, das Mädchen, das von der Mutter ausgeschickt wird, Maismehl zu kaufen, die junge Frau, die auf dem Friedhof ihren heimlichen Verlobten treffen will, die Kastagnettentänzerin, die in der Nacht ihrem Liebhaber zu begegnen glaubt – allesamt Einsame, gebannt, gejagt, getrieben vom wilden Tier im Menschen: »I didn’t want to kill, but I had to.«

R Jacques Tourneur B Ardel Wray V Cornell Woolrich K Robert De Grasse M Roy Webb A Albert S. D'Agostino, Walter E. Keller S Mark Robson P Val Lewton D Dennis O'Keefe, Margo, Jean Brooks, James Bell, Abner Biberman | USA | 66 min | 1:1,37 | sw | 25. Juni 1943

# 1143 | 6. Januar 2019

23.6.43

Les anges du péché (Robert Bresson, 1943)

Das Hohelied der Liebe

Spiritueller film noir (et blanc) – von Robert Bresson dargeboten mit strenger gestalterischer Delikatesse und einem, vor allem gegen Ende des bewegenden Stücks, leise anklingenden Ton katholischer Gefühligkeit: Die junge Anne-Marie (Renée Faure) tritt als Novizin einem Orden bei, der vor allem ehemalige weibliche Strafgefangene in seine Reihen aufnimmt. Durchdrungen von der Mission, gefallene Seelen wiederaufzurichten, konzentriert die bis zum Hochmut und zum Ungehorsam glaubensstarke Schwester ihre ganze Energie auf die abweisende Thérèse (Jany Holt), die, nachdem sie – frisch aus dem Zuchthaus entlassen – einen Rachemord begangen hat, im Konvent nicht Heimat sondern Unterschlupf sucht. Zwar laufen im Hintergrund der Erzählung polizeiliche Ermittlungsarbeiten, aber der wahre suspense entwickelt sich aus der brisanten Beziehung der beiden Frauen, deren geistiger Kampf in einem Opfer und einer Errettung kulminiert … Neben Bressons schnörkelloser Regie und dem (bei aller emotionalen Aufwallung) immer beherrschten Spiel der Darstellerinnen sind es vor allem Philippe Agostinis raffiniert-einfache Licht- und Kameraführung sowie das kühl-poetische Szenenbild von René Renoux, die »Les anges du péché« zur (insbesondere visuell) bemerkenswerten Etüde über Schwarz und Weiß, Sünde und Unschuld, Feindschaft und Liebe, Stolz und Demut, Kloster und Gefängnis machen. PS: »Wenn du das Wort, durch das Gott dich einem anderen verbindet, vernommen hast, sind alle anderen Worte nur ein Echo dieses einzigen.« (Katharina von Siena)

R Robert Bresson B Robert Bresson, Jean Giraudoux K Phillipe Agostini M Jean-Jacques Grunenwald A René Redoux S Yvonne Martin P Roland Tual D Renée Faure, Jany Holt, Sylvie, Mila Parély, Marie-Hélène Dasté | F | 96 min | 1:1,37 | sw | 23. Juni 1943

10.6.43

The Life and Death of Colonel Blimp (Michael Powell & Emeric Pressburger, 1943)

Leben und Sterben des Colonel Blimp

»The Life and Death of Colonel Blimp« ist nichts weniger als der Versuch, Präliminarien und Geschichte des Zweiten Dreißigjährigen Krieges herunterzubrechen auf die Erzählung von der tief problematischen, letztlich aber unverbrüchlichen (Männer-)Freundschaft zwischen einem britischen und einem deutschen Offizier. Dreimal begegnen sich Clive Wynne-Candy (naiv-energisch: Roger Livesey) und Theodor Kretschmar-Schuldorff (nobel-elegisch: Adolf Wohlbrück): Im Jahre 1902, kurz nach dem Burenkrieg, verteidigen sie in einem Degenduell stellvertretend die Ehre ihrer Heimatländer; im Ersten Weltkrieg findet sich der Deutsche in britischer Gefangenschaft wieder; im Zweiten Weltkrieg bittet der Deutsche als Exilant um britisches Asyl … »Blimp« verleugnet zu keinem Zeitpunkt die gestalterische Inspiration durch eine Cartoon-Figur: In bisweilen fast schematisch wirkenden Szenerien bewegen sich karikaturhaft zugespitzte Charaktere – der einfach gestrickte, offenherzig-konservative Brite mit dem blindem Vertrauen in fair play und common sense sowie der geschliffene, musisch-soldatische Deutsche, der weiß, daß Ritterlichkeit in Zeiten des totalen Krieges nur mehr eine Illusion ist, daß Respekt vor überkommenen Geboten lebensgefährlich sein kann. Weibliche Wesen haben in diesem tragikomisch-sentimentalen Epos der Desillusion eine eher periphere Bedeutung, erscheinen in erster Linie als Idealbilder (mal resolut, mal durchgeistigt, mal kumpelhaft) – konsequenterweise werden alle drei Frauenrollen von einer einzigen Schauspielerin (Deborah Kerr) verkörpert. Natürlich ist »Blimp« auch und vor allem ein Werk der Propaganda, mit dem Powell (Engländer) und Pressburger (Ungar) – sowie ihr französischer Kameramann, ihr deutscher Bühnenbildner, ihr österreichischer Star – eine Nation von Sportsmännern (und -frauen) davon überzeugen wollen, daß ein Gegner, der die Regeln mißachtet, nicht allein mit gerechter Gesinnung zu schlagen ist; doch bei aller politisch-militärischen Stimmungsmache trifft jener Satz ins Schwarze, den David Thomson ein halbes Jahrhundert später über diesen Film schreiben wird: »In any war we hope to be on the side that made ›Blimp‹.«

R Michael Powell, Emeric Pressburger B Michael Powell, Emeric Pressburger K Georges Périnal M Allan Gray A Alfred Junge S John Seabourne P Michael Powell, Emeric Pressburger D Roger Livesey, Deborah Kerr, Anton Walbrook (= Adolf Wohlbrück), Roland Culver, James McKechnie | UK | 163 min | 1:1,37 | f | 10. Juni 1943