23.2.79

Kassbach – Ein Portrait (Peter Patzak, 1979)

Walter Kohut als Wiener Greißler Karl Kassbach, dem sklavische Gier auf weibliches Fleisch und schwelende Wut auf alles, was gedanklich jenseits seines Horizonts liegt, aus sämtlichen Poren dampft. Mit kämpferischen Kameraden gründet der zum Äußersten entschlossene Kleinbürger die »Initiative«, eine kryptofaschistische Vereinigung, die den Tschuschen, den Sozen, den Gammlern, kurz: dem ganzen Gesindel den Garaus machen will. Peter Patzak und Helmut Zenker entwerfen ein grimmig-sarkastisches Sittenbild zwischen Ordnung und Amok, Ohnmacht und Übergriff, Gemütlichkeit und Terror; sie porträtieren Kassbach als sozialen Prototypen in charakteristischen Situationen: mit frustrierter Ehefrau und widerständigem Sohn, mit klatschsüchtigen Kunden und ideologischen Gefährten, im stickigen Zuhause, im schäbigen Geschäft, im trüben Vereinszimmer, beim Sex mit wahllosen Lustobjekten, beim massenhaften Abschuß von Meerschweinchen, bei der finalen Attacke auf den Feind. Eingestreute Statements von Angehörigen und Bekannten, Einschätzungen von Experten zur Person des Protagonisten sowie direkte Aussagen der Hauptfigur (»Erbsen mit Speck kennt i essen bis zur Vergasung.«) schaffen gleichermaßen kalte Distanz und peinliche Nähe: Kassbach ist ein Randphänomen, Kassbach ist mitten unter uns.

R Peter Patzak B Peter Patzak, Helmut Zenker V Helmut Zenker K Dietrich Lohmann M Peter Zwetkoff A Elisabeth Klobassa S Traudl Gruber P Peter Patzak D Walter Kohut, Immy Schell, Konrad Becker, Hanno Pöschl, Erni Mangold | A | 110 min | 1:1,66 | f | 23. Februar 1979

20.2.79

Die Ehe der Maria Braun (Rainer Werner Fassbinder, 1979)

»Ich mache die Wunder lieber, als daß ich auf sie warte.« Ein Zeitbild, ein Entwicklungsroman, eine Dreiecksgeschichte, ein »women’s picture«. Es ist Krieg, als Maria und Hermann Braun heiraten. Bomben fallen, das Standesamt fliegt in die Luft. Die Ehe dauert einen halben Tag und eine ganze Nacht, dann hört sie auf und geht doch immer weiter: durch Zusammenbruch und Nachkrieg, Besatzung und Wiederaufbau. Hermann (Klaus Löwitsch) gilt für tot, taucht unerwartet auf, geht für Maria (Hanna Schygulla) ins Gefängnis, verschwindet, kommt zurück. Ein Wechselbad von Verschollensein und Heimkehr, Verlust und Wiederfinden: »Es ist keine gute Zeit für Gefühle.« Derweil macht Maria Karriere, wird die wichtigste Mitarbeiterin und Geliebte des Unternehmers Oswald (Ivan Desny), schuftet wie eine Besessene, schafft Geld heran, für später: »Mit dem Leben fangen wir an, wenn wir wieder zusammen sind«, sagt sie zu Hermann. Rainer Werner Fassbinder präsentiert Maria als Bahnbrecherin und Produkt ihrer Zeit, unabhängig und ausgeliefert, weitsichtig und blind. Sie spricht von Liebe und denkt an Besitz, sie trennt Emotion von Geschäft und vermischt Glück mit Interessen: eine »Meisterin der Verstellung«, der das Rollenspiel zur Natur wird, eine »Mata Hari des Wirtschaftswunders«, die sich vor allem selbst verrät. »Ich hab mich gemacht«, behauptet Maria stolz von sich, ohne zu ahnen, daß sie das Objekt eines Handels ist. Fassbinder zeigt, mokant und bekümmert, gefühlvoll und gallig, die Gründungsjahre der Bundesrepublik, mit ihren Menschen, die immer kälter, immer dicker, einander immer fremder werden: Bewohner eines Landes, das Wahnsinn heißt. Die komplexe Tonspur bettet die Dialoge in zeitgenössische Musik, ins Knattern der Preßlufthämmer, in bedeutungsvolle historische Tondokumente: Suchmeldungen des Rundfunks, widersprüchliche Kanzlerreden, euphorische Reportagen: »Aus! Aus! Aus! Deutschland ist Weltmeister!«

R Rainer Werner Fassbinder B Peter Märthesheimer, Pea Fröhlich K Michael Ballhaus M Peer Raben A Norbert Scherer Ko Barbara Baum S Juliane Lorenz, Franz Walsch (= Rainer Werner Fassbinder) P Michael Fengler D Hanna Schygulla, Ivan Desny, Klaus Löwitsch, Gisela Uhlen, Elisabeth Trissenaar, Hark Bohm | BRD | 120 min | 1:1,85 | f | 20. Februar 1979

# 893 | 5. Juli 2014

9.2.79

Hardcore (Paul Schrader, 1979)

Hardcore – Ein Vater sieht rot 

»Turn it off! Turn it off!! TURN IT OFF!!!« oder »Völlige Verderbtheit, bedingungslose Erwählung, begrenzte Versöhnung, unwiderstehliche Gnade und die Beharrlichkeit der Heiligen.« – Paul Schraders Schmuddel-Meditation über Calvinismus und Pornographie: Die halbwüchsige Tochter des tiefreligiösen Mittelwestlers Jake VanDorn (George C. Scott) geht auf einer Klassenfahrt in Kalifornien verloren. Die Polizei ist ratlos. Ein schmierig-fusselhaariger Privatschnüffler (Peter Boyle) findet die Spur des Mädchens – und präsentiert dem schockierten Jake den Auftritt seines Kindes in einem billigen Hardcore-Streifen… Als Reinkarnation von Ethan Edwards begibt sich der moderne »searcher« auf eine Reise durch das neonbunte Inferno der amerikanischen Lustindustrie, er tarnt sich mit Toupet, falschem Schnauz und großgemusterten Hemden, deren Kragenspitzen bis (fast) zum Bauchnabel reichen, er trifft auf großkalibrige Typen mit so klingenden Namen wie ›Jism Jim‹ oder ›Big Dick Blaque‹ – und er muß der schrecklichen Wahrheit ins Auge sehen, daß die Welt des Sex und das Reich des Glaubens spiegelbildliche Universen sind, deren Bewohner ähnliche Blessuren tragen. Die sonderbare Unentschiedenheit des schroffen Werkes zwischen moralischem Thrill und zynischer Parodie sorgt gleichermaßen für Irritation wie für Intensität.

R Paul Schrader B Paul Schrader K Michael Chapman M Jack Nitzsche A Paul Sylbert S Tom Rolf P Buzz Feitshans D George C. Scott, Peter Boyle, Season Hubley, Dick Sargent, Leonard Gaines | USA | 109 min | 1:1,85 | f | 9. Februar 1979

The Warriors (Walter Hill, 1979)

Die Warriors

»Thálatta! Thálatta!« (»When we see the ocean, we figure we’re home. We’re safe.«) Ein urbaner Kriegsfilm, eine Reise ans Ende der Nacht. Der Schauplatz: eine exemplarische Großstadt – New York. Die Protagonisten: ›Kool Killers‹ – gang members. Eines der klassischen Geschichtswerke des Abendlandes paraphrasierend, liegt Walter Hill wohl nichts ferner, als eine filmische Enquête über Jugendgewalt als Symptom gesellschaftlicher Verrohung zu liefern. Er erzählt (mit Sinn für Rhythmus, Stil und Posen) die archaische Geschichte eines versprengten Trupps auf dem Weg nach Hause – Ausgangspunkt: die Bronx, Ziel: Coney Island (Das Meer! Das Meer!) – und beschreibt, ganz en passant, den Krieg aller gegen alle als Normalzustand der verdämmernden westlichen Zivilisation. »Somewhere out on that horizon / Faraway from the neon sky / I know there must be somethin’ must be somethin’ better.«

R Walter Hill B Walter Hill, David Shaber V Sol Yurick, Xenophon K Andrew Laszlo M Barry De Vorzon A Don Swanagan, Robert Wightman S Freeman Davis, David Holden, Susan E. Morse, Billy Weber P Lawrence Gordon D Michael Beck, James Remar, Dorsey Whright, Brian Tyler, David Harris | USA | 92 min | 1:1,78 | f | 9. Februar 1979