27.4.77

L’homme qui aimait les femmes (François Truffaut, 1977)

Der Mann, der die Frauen liebte

François Truffauts filmisches Hochamt für jene Dinge des Lebens, die er – neben dem Kino – wohl am meisten schätzt: Frauenbeine (»Les jambes des femmes sont des compas qui arpentent le globe terrestre en tout sens, lui donnant son équilibre et son harmonie«) und Bücher (»ll n'y a rien de plus beau que de faire un livre, sinon peut-être faire un enfant.«) … Die episodenhafte Struktur des Werks mit seinen komplex ineinandergewobenen Erzählebenen wird zusammengebunden von diesen beiden Leidenschaften des Regisseurs, die auch die Leidenschaften seiner (zweifellos autobiographisch grundierten) Hauptfigur Bertrand Morane (Charles Denner) sind. »L’homme qui aimait les femmes«, ein Film, der genausogut »Confessions d’un érotomane bibliophile« heißen könnte, beleuchtet nicht nur diverse Facet­ten von Truffauts Persönlichkeit – seine Obsessionen und seinen (unstillbaren) Appetit, seine tiefe Einsamkeit und das kränkende Gefühl, von der eigenen Mutter nicht geliebt worden zu sein –, der Film erweckt die austauschbar scheinenden Objekte seiner Begierde mit den Blicken des (nur für den Moment, aber immer wieder) aufrichtig Liebenden zu greifbarem Leben: Brigitte Fossey und Nathalie Baye, Nelly Bourgeaud und Leslie Caron zeigen eben nicht nur Bein, sie alle (und zahlreiche andere) zeigen Stolz und Witz, Leidenschaft und Verrücktheit, Intelligenz und Melancholie, kurz: unverwechselbare Persönlichkeit.

R François Truffaut B François Truffaut, Michel Fermaud, Suzanne Schiffman K Néstor Almendros M Maurice Jaubert A Jean-Pierre Kohut-Svelko S Martine Barraqué P François Truffaut, Marcel Berbert D Charles Denner, Brigitte Fossey, Nathalie Baye, Nelly Bourgeaud, Leslie Caron | F | 120 min | 1:1,66 | f | 27. April 1977

20.4.77

Annie Hall (Woody Allen, 1977)

Der Stadtneurotiker 

»There’s an old joke… two elderly women are at a mountain resort, and one of them says: ›Boy, the food at this place is really terrible.‹ The other one says: ›Yeah, I know; and such small portions.‹« Mit »Annie Hall« wird Woody zu Woody Allen. Die Federleichtigkeit, mit der die formalen Register gezogen werden, läßt immer wieder staunen. Dank einer kongenialen Hauptdarstellerin (Diane Keaton), eines begnadeten Kameramanns (Gordon Willis), eines virtuosen Cutters (Ralph Rosenblum), eines Ausstatters (Mel Bourne) und eines Kostümbildners (Ralph Lauren), die den Lifestyle ihrer Ära auf den Punkt bringen, sowie natürlich aufgrund von Allens untrüglichem Gespür für Situationen und Dialoge, seines philosophischen Esprits, seines großstädtischen Flairs sowie einer grundsoliden Halbbildung, die es ihm erlaubt, über alles und jeden seine (klugen) Witze zu reißen, entsteht nicht nur ein tiefgründig-hochkomisches Zeit- und Gesellschaftsbild sondern eine völlig neue Form von Lustspiel: die realistische urban-intellektuelle Komödie. In einer raffiniert-simplen Boy-meets-girl-boy-loses-girl-Story öffnet sich ein ganzes Universum von Themenpaaren – Widersprüchen der menschlichen Existenz –, aus denen Allen sein erzählerisches Kapital schlägt: Männer und Frauen, Juden und Christen, Stadt und Land, Liebe und Tod, Gestern und Heute, New York und Hollywood, Hoffnung und Angst, schlechtes Essen und kleine Portionen.

R Woody Allen B Woody Allen, Marshall Brickman K Gordon Willis M diverse A Mel Bourne S Ralph Rosenblum P Jack Rollins, Charles H. Joffe D Woody Allen, Diane Keaton, Tony Roberts, Paul Simon, Shelley Duvall | USA | 93 min | 1:1,85 | f | 20. April 1977

1.4.77

Black Sunday (John Frankenheimer, 1977)

Schwarzer Sonntag

A study in terror – John Frankenheimers energiegeladenes Action-Epos schildert (nach einem Roman des späteren Hannibal-Lecter-Autors Thomas Harris) die zunehmend verzweifelten Bemühungen des abgekämpfen Mossad-Agenten Kabakow (Robert Shaw), den monumentalen Anschlag eines palästinensischen Kommandos auf ein – zunächst unbekanntes – Ziel in den Vereinigten Staaten zu verhindern: Eine unter die Gondel eines Luftschiffs montierte gewaltige Nagelbombe soll während des Super Bowl, der heiligen Messe des American way of life, 80000 Menschen (inklusive des US-Präsidenten) töten. Frankenheimer kombiniert fieberhaften Dokumentarstil mit expressiver Symbolik (etwa wenn nach einem gelungenen Explosionstest tausende von Lichtstrahlen durch die zerlöcherte Blechhülle eines Hangars fallen) und begreift Dahlia Iyad, die unberirrbare Frontfrau des »Schwarzen September« (Marthe Keller), die den verbitterten Vietnam-Veteranen Lander (»I wanted to give this whole son-of-a-bitchin’ country something to remember me by!« – Bruce Dern) zum willigen Werkzeug ihres Schreckensplans formt, weniger als blindwütige Furie denn als folgerichtiges Produkt westlicher Nahost-Politik :»After all ... in a way, she’s your creation.«

R John Frankenheimer B Ernest Lehman, Kenneth Ross, Ivan Moffat V Thomas Harris K John A. Alonzo M John Williams A Walter Tyler S Tom Rolf P Robert Evans D Robert Shaw, Bruce Dern, Marthe Keller, Fritz Weaver, Steven Keats | USA | 143 min | 1:2,35 | f | 1. April 1977

# 1097 | 22. Februar 2018