21.12.76

Nickelodeon (Peter Bogdanovich, 1976)

Nickelodeon

»We’re going to make pictures.« Eine sepiagetönte Vergnügungsreise in die Jugendzeit des Kinos: Leo Harrigan (Ryan O’Neal), als Anwalt keine große Leuchte, heuert im Jahre 1910 als Autor und Regisseur (»Any jerk can direct.«) bei einem unabhängigen Produzenten an, der mehr oder weniger erfolgreich gegen Edisons übermächtigen Patent-Trust anfilmt … Peter Bogdanovich erzählt Leos wechselvolle Karriere sowie die rasante Entwicklung vom frühen Einakter-Kintopp bis zum Anbruch einer Epoche von kinematographischen Großereignissen à la »The Birth of a Nation« als launig-nostalgische Slapstick-Komödie voll handfester Romantik und possenhafter Abenteuer: Die musikalische Klavier-(und Mundharmonika-)Untermalung erinnert an beschwingte Stummfilmbegleitung; der bunt zusammengewürfelte Haufen der Filmschaffenden (darunter Burt Reynolds, Tatum O’Neal und John Ritter) gleicht eher fröhlichem Zirkusvolk als cineastischen Fachleuten (»Who wants to be respactable anyway?«); Hauptdarsteller O’Neal, ausgestattet mit Hut und runder Brille, wirkt wie ein Wiedergänger von Harold Lloyd. »A pratfall is better than anything«, wußte Preston Sturges, und Bogdanovich hält sich, vielleicht allzu strikt, an die Empfehlung des legendären Komödiengenies. Doch bei aller klamottigen Schablonenhaftigkeit stolpert »Nickelodeon« immer wieder in Situationen von burlesker Poesie, so etwa wenn ein umherirrender Heißluftballon, von der Kamera wild verfolgt, zufällig auf dem Dach eines Eisenbahnwaggons landet und das Luftschifferpaar, vom begeisterten Regisseur angefeuert, in eine zärtliche Umarmung sinkt: »Perfect! Hold it a little longer. Slow iris to black. And cease. Cut. That’s it.«

R Peter Bogdanovich B Peter Bogdanovich, W. D. Richter K Laszlo Kovacs M Richard Hazard A Richard Berger S William Carruth P Robert Cartoff, Irwin Winkler D Ryan O’Neal, Burt Reynolds, Tatum O’Neal, Brian Keith, Stella Stevens, John Ritter | USA & UK | 121 min | 1:1,85 | f | 21. Dezember 1976

# 969 | 8. September 2015

7.12.76

Il Casanova di Federico Fellini (Federico Fellini, 1976)

Fellinis Casanova

Ein Jahr nach »Barry Lyndon« folgt mit »Il Casanova di Federico Fellini« eine weitere außer­gewöhnliche Kino-Abenteuergeschichte aus dem galanten Zeitalter. Wo Stanley Kubrick gestalterisch auf penible Rekonstruktion der Epoche setzt, unternimmt Fellini (mit seinem Ausstatter Danilo Donati) die karnevaleske Neuerfindung der vorrevolutionären Ära: Die Lagune von Venedig wird zum Meer aus wogender Plastikfolie, London ist eine Brücke im (Bühnen-) Nebel, Dresden erscheint als barockes Theater, dessen leere Logen wie tote Augen glotzen. Der Titel- und Frauenheld stolziert wie ein gespreizter (gegen Ende des Films: wie ein gerupfter) Pfau durch diese üppig-stilisierte Kulissenwelt, trifft auf geile Nonnen und spiritistische Fürstinnen, auf feinfühlige Riesinnen und anämische Nähmädchen, erlebt eine endlos scheinende Abfolge erotischer Eskapaden. Die Freud- und Seelenlosigkeit, mit der Casanova (Donald Sutherland verkörpert den Vater aller Liebhaber als lächerlich-arroganten Deckhengst) seine sexuellen Aventüren exekutiert, hat etwas zutiefst Maschinenhaftes – die endgültige Erfüllung seiner totalen Begierde, die ihn rastlos ganz Europa durchjagen läßt, findet der alternde Stecher denn auch sinnigerweise im Beischlaf mit einer mechanischen Puppe. In diesem grotesken Ausdruck der Begeisterung des 18. Jahrhunderts für alle Arten von Automaten spiegelt sich nicht nur die heutige Fetischisierung von Technik und Machbarkeit, es wird auch die trostlose Kälte spürbar, die herrscht, wenn Liebe allein in Kategorien wie »schneller – länger – weiter« betrieben wird.

R Federico Fellini B Federico Fellini, Bernardino Zapponi V Giacomo Casanova K Giuseppe Rotunno M Nino Rota A Danilo Donati S Ruggero Mastroianni P Alberto Grimaldi D Donald Sutherland, Tina Aumont, Cicely Browne, Carmen Scarpitta, Clara Algranti | I & USA | 155 min | 1:1,85 | f | 7. Dezember 1976