25.9.74

Juggernaut (Richard Lester, 1974)

18 Stunden bis zur Ewigkeit

Terror an Bord! 1.200 Passagiere eines ocean liners sitzen auf einem Pulverfaß: Ein ebenso anonymer wie genialer Bombenbauer (›Juggernaut‹) droht, das Schiff in der Weite des winterlichen Atlantiks mit sieben Sprengsätzen in die Luft zu jagen – es sei denn, er erhielte binnen 18 Stunden 500.000 £ in bar. Richard Lester schickt eine Garde hochklassiger Darsteller ins death race: Cusack, Glover, Harris, Hemmings, Holm, Hordern, Hopkins, Jones, Kinnear, Knight, Sharif. Spannung wird weder von schnellen Schnitten noch von rasanten Kamerafahrten und auch nicht von gigantischen Explosionen erzeugt – sie spielt sich allein in den mal großkotzigen, meist aber verkniffenen Minen der Protagonisten ab. Daß sich der Film zudem (fast alle) Zeit (der Welt) nimmt, das von verdrängten Gefühlen, unterdrückten Ängsten und angestrengter Lustigkeit beherrschte Leben unter dem bedrohlich pendelnden Damoklesschwert spöttisch-nüchtern zu skizzieren, potenziert seine emotionale Kraft: »Do you think the water will be very cold?« – »In my professional opinion: not hot. And it will ruin your hair.«

R Richard Lester B Richard Alan Simmons K Gerry Fisher M Ken Thome A Terence Marsh S Anthony Gibbs P Richard Alan Simmons D Richard Harris, Omar Sharif, David Hemmings, Anthony Hopkins, Shirley Knight | UK | 109 min | 1:1,66 | f | 25. September 1974

24.9.74

And Then There Were None (Peter Collinson, 1974)

Ein Unbekannter rechnet ab

In dieser holprigen Adaption des altbewährten Agatha-Christie-Bühnenreißers (einer leicht verwässerten Fassung ihres Bestsellers »Ten Little Niggers«) werden die innewohnenden Themenkreise – Schuld und Sühne, Rache und Recht – allenfalls kursorisch behandelt. Das von Regisseur Peter Collinson an entlegenem iranischen Ort versammelte internationale Starensemble (Attenborough, Audran, Aznavour, Celi, Fröbe, Lom, Reed, Sommer) hat nicht viel mehr zu tun, als dekorativ zugegen zu sein und sich von einem unbekannten Hintermann peu à peu dezimieren zu lassen. Für einen gewissen Reiz sorgen allein die phantastischen Kulissen des Stücks: die zweieinhalbtausend Jahre alten Ruinen von Persepolis und das Farah-Diba-schicke Interieur eines gottverlassenen Luxushotels.

R Peter Collinson B Erich Kröhnke, Enrique Llovet, Peter Welbeck (= Harry Alan Towers) V Agatha Christie K Fernando Arribas M Bruno Nicolai A José María Tapiador S John Trumper P Alain Dahan, Peter Welbeck (= Harry Alan Towers) D Oliver Reed, Elke Sommer, Richard Attenborough, Gert Fröbe, Stéphane Audran | BRD & I & F & E | 92 min | 1:1,66 | f | 24. September 1974

# 1137 | 8. Dezember 2018

11.9.74

Le fantôme de la liberté (Luis Buñuel, 1974)

Das Gespenst der Freiheit 

»Célébrer quoi?« – »Le hasard.« Gleich zu Beginn des Films hat Luis Buñuel einen bemerkenswerten (und garantiert unsymbolischen) Kurzauftritt: als spanischer Mönch des frühen 19. Jahrhunderts, der – zusammen mit anderen – unter dem Ruf »Es leben die Ketten!« vor ein revolutionäres Erschießungskommando tritt. Der Titel des Werks sei im übrigen eine Irreführung, so der Regisseur, denn in »Le fantôme de la liberté« gebe es weder ein Gespenst noch Freiheit. Ebensogut könnte man allerdings sagen: Es gibt nur Gespenster, und kaum ein Film ist so frei wie dieser. Mit der hochsympathischen Wurstigkeit des Klassikers, dem keiner mehr in die Parade fahren kann, verlacht der alte Surrealist die Logik, folgt er allein seiner kinematographischen Libido, assoziiert er pokernde Karmeliter mit doppelgängerischen Polizeipräfekten mit unverblümten Sadomasochisten mit paradoxen Pädagogen mit fuchsjagenden Panzerfahrern mit dezenten Amokläufern mit glotzenden Straußen … »Le fantôme de la liberté« ist eine pikareske Apotheose des Zufalls, des Augenblicks, der Absurdität, eine feixende Absage an alle Gläubigen, ganz egal ob sie Gott hörig sind oder der Aufklärung oder dem Dreiaktschema. PS: »J’en ai marre de la symétrie.«

R Luis Buñuel B Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière K Edmond Richard A Pierre Gueffroy S Hélène Plemiannikov P Serge Silberman D Jean-Claude Brialy, Monica Vitti, Michael Lonsdale, Julien Bertheau, Michel Piccoli, Jean Rochefort, Adolfo Celi | F & I | 104 min | 1:1,66 | f | 11. September 1974

6.9.74

Chapeau Claque (Ulrich Schamoni, 1974)

Nichtstun als schöne Kunst betrachtet: Ulrich Schamoni erzählt (mit sich selbst in der Hauptrolle) vom (weitgehend ereignislosen) Leben eines Pleitiers, der sich mit dem, was er aus dem Konkurs des traditionsreichen Berliner Familenunternehmens (Produktion von Zylinderhüten) retten konnte, in seine kleine Grunewald-Villa zurückgezogen hat und dem genüßlich-asozialen Müßiggang frönt. Der Privatier vertrödelt die Zeit mit einem (meist unbekleideten) jungen Mädchen, kultiviert seine Sammelleidenschaft (Emailschilder, Reklamebilder, Porzellanhasen aller Provenienz) und schlurft ansonsten – alte Kaufmannsweisheiten zitierend (»Wer gute Nächte sucht, verliert gute Tage.« oder, auch schön: »Reiche Leute haben fette Katzen.«) – in ausgebollerten Frottee-Bademänteln durch diesen nostalgischer Abgesang auf die kultur- und wohlstandsbürgerliche Welt. In Nebenrollen glänzen die wunderbare Anna Henkel (nackt und verschmollt), Wolfgang Neuss (noch mit Zähnen) und Karl Dall (als gestreßter Jung-Unternehmer). Eine undeutsche Perle voll verkrachtem Esprit, angeschmuddelter Lässigkeit, schlampiger Eleganz.

R Ulrich Schamoni B Ulrich Schamoni K Igor Luther M diverse S Regine Heuser P Regina Ziegler, Ulrich Schamoni D Ulrich Schamoni, Anna Henkel, Karl Dall, Wolfgang Neuss, Erika Skrotzki | BRD | 94 min | 1:1,66 | f | 6. September 1974