26.4.68

Im Banne des Unheimlichen (Alfred Vohrer, 1968)

»Let me feel it, come on, let me hear it. / Make it jump, make im bomb, / Make me sigh, make me high / And make my blood run all wild.« Ende der 1960er hat Alfred Vohrer (unterstützt von kongenialen Kollaborateuren: Kameramann Karl Löb, Komponist Peter Thomas, Szenenbildnerduo Wilhelm Vorwerg und Walter Kutz) eine verdammt gute Strecke: In seinen kunterbunten Swinging-Trash-Flicks (»Hand«, »Mönch«, »Hund«) frisiert er gediegenen Edgar-Wallace-Thrill zu überspitzten Pop-Killerspielen, betreibt er die Reanimation des Whodunits als bewußtseinserweiternde Mischung von flapsigem Terror und mörderischem Quatsch. »Im Banne des Unheimlichen« führt diese (Anti-)Traditionslinie zum Höhepunkt – mit einer lachenden Leiche sowie einer eiskalt hauchenden Geisterbahnfigur, die auf dem blanken Totenschädel ein keckes Hütchen trägt und ihre Opfer per Stich mit einem vergifteten Skorpionring um die Ecke bringt. Inspektor Higgins (so seriös wie möglich: Joachim Fuchsberger) und Scotland-Yard-Direktor Sir Arthur (ballettaffin: Hubert von Meyerinck) ermitteln in einem chaotischen Fall um Bruderzwist und Wahnsinn, um Erpressung und Rache aus dem Jenseits – wobei sich die (große) Menge der Toten und die (hohe) Zahl der Verdächtigen stets die Waage halten ... »Tomorrow my stars might fall dead on my head, one more time, / Tomorrow I might hit the danger zone. / So, today I want to feel just as happy as I can – / I want to feel my heart beat!«

R Alfred Vohrer B Ladislas Fodor V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Joachim Fuchsberger, Siw Mattson, Wolfgang Kieling, Pinkas Braun, Hubert von Meyerinck | BRD | 90 min | 1:1,66 | f | 26. April 1968

Je t’aime, je t’aime (Alain Resnais, 1968)

Ich liebe dich, ich liebe dich

»C’était bien?« – »Très.« Er liegt in der Klinik. Er hat versucht sich umzubringen. Man ist an ihm interessiert. Warum? Weil er nichts zu verlieren hat. Hat er eine Chance zurückzukommen? Das weiß niemand. Er wird aus dem Krankenhaus entlassen. Er heißt Claude Ridder. Er willigt ein, an einem Experiment teilzunehmen. Im Forschungszentrum Crespel beschäftigt man sich mit der Zeit. Bislang wurden Versuche mit Mäusen angestellt, nun soll Ridder als erster Mensch in seine eigene Vergangenheit reisen, soll eine Minute seines Lebens wiedererleben, eine Minute, die exakt ein Jahr zurückliegt. Die Zeitmaschine, die Alain Resnais für seinen Film konstruiert hat, ist keine modernistische High-Tech-Installation à la Irwin Allen, vielmehr ähnelt die organisch geformte Anlage mit ihrem höhlenartigen Inneren einer gigantischen Knolle, oder einer übergroßen Herzkammer, oder einem riesigen Gehirn. Der Versuch beginnt. Ridder schwimmt unter Wasser, er taucht aus dem Meer. Am Ufer liegt eine Frau, sie fragt ihn: »C’était bien?« – »Très.« – »Tu as vu beaucoup de poissons?« Dann läuft etwas schief. Ridder geht verloren, wird durch die Zeiten geschleudert, treibt kreuz und quer durch seine Erinnerungen. Fragmente einer Biographie blitzen auf, elliptisch, diskontinuierlich, flüchtig wie Reflexe eines Spiegelkugel, Momente, Situationen, Begegnungen, heiter, banal, quälend: berufliche Stationen, eine komplizierte Liebesgeschichte, Glück, Langweile, Schuld. Gedanken, Assoziationen, Wiederholungen: zahllose Perspektiven, die sich nicht zu einem Gesamtbild fügen. Der Mensch als unerforschliches Wesen, als Gefangener seines sprunghaften Gedächtnisses, als Irrender in einem ewig unvollendeten Labyrinth, aus dem nur ein einziger Weg herausführt. »Tu as vu beaucoup de poissons?« – »Deux serpents de mer, quelques requins, des méduses géantes. A part ça, rien de très particulier.«

R Alain Resnais B Jacques Sternberg K Jean Boffety M Krzysztof Penderecki A Jacques Dugied, Augusto Pace S Albert Jurgenson, Colette Leloup P Mag Bodard D Claude Rich, Olga Georges-Picot, Anouk Ferjac, Van Doude, Bernard Fresson | F | 92 min | 1:1,66 | f | 26. April 1968

# 841 | 7. März 2014

17.4.68

La mariée était en noir (François Truffaut, 1968)

Die Braut trug schwarz

Liebe über den Tod hinaus. Gemordete Liebe, die über Leichen geht. Ein grausames Märchen, eine melodramatische Thrillerabstraktion. Julie Kohler (≈ colère), die aller Illusionen beraubte Braut, rächt den Tod ihres prince chamant, den kurz nach der Trauung auf den Stufen der Kirche eine Kugel traf. Fünf Männer sind für die Tat verantwortlich, fünf Männer werden sterben – keine Mission, sondern eine Arbeit, die getan werden muß. Übermächtige Vergangenheit verlängert sich in eine Zukunft, die keine Erlösung, keine Nachsicht, die nur Vollstreckung eines Urteils kennt. François Truffaut schildert ohne Umschweife (im übertragenen Sinne: ohne Adjektive) die Geschichte einer heiß-kalten Obsession, beschreibt präzise, luzid, transparent die blutige Reise durch ein Fantasieland, die Fahrt durch einen Tunnel, der Schuld und Unschuld, der Weiß und Schwarz verbindet. Jeanne Moreau ist die Braut, gefühllos und hochemotional, vollkommen klar und absolut wahnsinnig, eine jungfräuliche Jägerin, ein mörderischer Engel, eine (un-)menschliche Guillotine. Von Anfang an besteht kein Zweifel, daß Julie erreichen wird, was sie sich vorgenommen hat – wenn sie auch niemals mehr bekommen kann, was sie eigentlich will.

R François Truffaut B François Truffaut, Jean-Louis Richard V William Irish (= Cornell Woolrich) K Raoul Coutard M Bernard Herrmann A Pierre Guffroy S Claudine Bouché P Marcel Bebert D Jeanne Moreau, Michel Bouquet, Jean-Claude Brialy, Charles Denner, Michael Lonsdale, Daniel Boulanger, Claude Rich | F & I | 107 min | 1:1,66 | f | 17. April 1968

# 771 | 15. September 2013  

4.4.68

The Party (Blake Edwards, 1968)

Der Partyschreck

(»The world is flat.«) Neben Truman Capotes legendärem ›Black-and-White-Ball‹ ist »The Party« wohl das herausragende gesellschaftliche Ereignis der glanzvoll-rebellischen 1960er Jahre. Die ins ultramoderne Heim von Hollywood-Mogul ›General‹ Clutterbuck geladenen Gäste mögen weniger illuster sein als die feine Gesellschaft, die sich anderthalb Jahre zuvor im Grand Ballroom des New Yorker Plaza Hotel versammelte – die Stimmung jedoch steigt zu extremen Höhepunkten, was neben der avancierten (aber unkontrolliert eingesetzten) Haustechnik und einem kunstvoll (aber entwürdigend) bemalten Elefanten insbesondere dem (nur versehentlich anwesenden) indischen Kleindarsteller Hrundi V. Bakshi (Peter Sellers) zu danken ist. Als Agent desselben revolutionären Weltgeistes, der kurze Zeit später in Berlin ein Verlagshaus der Massenpresse in Flammen setzen, in Paris den Strand unter dem Pflaster freilegen und in Prag einen kurzen Frühling der Utopie entfesseln wird, läßt der ridikül-radikale Komparse (»Howdy, partener!«) die in verbindlichen Regeln ruhende Welt des Establishments im Schaum des avantgardistischen Umsturzes versinken. Blake Edwards wirft derweil alle Regeln der filmischen Erzählkunst in den schwappenden Pool und stellt das Kino dahin, wo es hingehört: vom (wohlüberlegenden) Kopf auf die (ungestüm tanzenden) Füße (sowie auf die (wild herumfuchtelnden) Hände). Vive l’anarchie! PS: Und das hübsche, sensible Mädchen (Claudine Longet) kriegt der höflich-irre Bakshi auch noch. PPS: »Birdie Num Num.«

R Blake Edwards B Blake Edwards, Tom Waldman, Frank Waldman K Lucien Ballard M Henry Mancini A Fernando Carrere S Ralph E. Winters P Blake Edwards D Peter Sellers, Claudine Longet, J. Edward McKinley, Gavin MacLeod, Denny Miller | USA | 99 min | 1:2,35 | f | 4. April 1968

2.4.68

A Dandy in Aspic (Anthony Mann, 1968)

Todestanz eines Killers

»Die Welt ist dumm, die Welt ist blind.« Im Zentrum von Anthony Manns letztem Film (er starb während der Dreharbeiten) steht ein britisch-russischer Doppelagent, der in Berlin Jagd auf sich selber machen soll ... Die völlige Austauschbarkeit der Seiten im spy game ist ein interessantes Thema, auch Laurence Harveys botoxhaft-eingefrorene Darstellung des »Dandy in Aspic« überzeugt. Doch das Geschehen schwappt träge vor sich hin, genau wie der Score von Quincy Jones. Ein Rätsel gibt die von Mia Farrow gespielte Figur einer jungen Fotografin auf: Immer wieder kreuzt sie unerwartet den Weg des Protagonisten, hat aber letztlich so wenig Relevanz für die Erzählung, daß man sie beinahe für eine geniale Allegorie auf eine Welt des Zufalls und der Sinnlosigkeit halten könnte.

R Anthony Mann B Derek Marlowe V Derek Marlowe K Christopher Challis M Quincy Jones A Carmen Dillon, Patrick McLoughlin S Thelma Connell P Anthony Mann D Laurence Harvey, Tom Courtenay, Mia Farrow, Harry Andrews, Peter Cook | UK | 107 min | 1:2,35 | f | 2. April 1968