24.3.65

Le corniaud (Gérard Oury, 1965)

Scharfe Sachen für Monsieur | Louis, das Schlitzohr

»Wenn einer eine Reise tut, / dann kann er was erzählen. / Drum nähme ich den Stock und Hut / und tät das Reisen wählen.« Antoine Maréchal, ein argloser Pariser Kleinbürger (Bourvil), nimmt den weißen Cadillac DeVille, der ihm (nicht ganz uneigennützig) vom halbseidenen »Unternehmer« Léopold Saroyan (Louis de Funès) zur Verfügung gestellt wird, und reist von Neapel nach Bordeaux. Unterwegs passiert allerlei Erzählenswertes, das insbesondere mit der versteckten Fracht zu tun hat, die Maréchal nichtsahnend in Saroyans Luxuskarosse transportiert: Heroin (in den Kotflügeln), Gold (in den Stoßstangen), Edelsteine (in der Batterie) und: den größten Diamanten der Welt (tja, wo eigentlich?) … Gérard Oury mixt Gangster-Klamotte mit Poisson-hors-de-l’eau-Komödie und postkartenidyllischen Italien-Impressionen (römisches Dolce Vita, sizilianische Eifersucht, Wasserspiele und Faustkämpfe in der Villa d’Este, Camping und Freikörperkultur am Tyrrhenischen Meer) zu einem ferienvergnüglichen Roadmovie, in dem – anders als im richtigen Leben – die bodenlose Ehrlichkeit des herzensguten Blödmanns über die gemeine Hinterlist des berechnenden Schlitzohrs siegt.

R Gérard Oury B Gérard Oury, Marcel Jullian, Georges Tabet, André Tabet K Henri Decaë M Georges Delerue A Francesco Ciarletta, Robert Giordani S Albert Jurgenson P Robert Dorfmann D Bourvil, Louis de Funès, Venantino Venantini, Beba Loncar, Alida Chelli | F & I | 111 min | 1:2,35 | f | 24. März 1965

18.3.65

The Ipcress File (Sidney J. Furie, 1965)

Ipcress – Streng geheim

Der Anti-Star als Anti-Bond: Beherrschte Stimme, sparsame Mimik, ökonomische Körpersprache kennzeichnen Michael Caines Interpretation des coolen Intelligence-Agenten Harry Palmer. Dessen erster Fall, »The Ipcress File«, der sich um die organisierte Entführung von Wissenschaftlern, gewerbsmäßige Gehirnwäsche und eine innergeheimdienstliche Intrige dreht, ist eine eigenwillige Mischung aus spröder New-Wave-Tristesse und überspitztem »Avengers«-Surrealismus. Sidney J. Furies Film besticht durch einen zart prickelnden John-Barry-Score sowie durch extravagante Bildkompositionen: Otto Hellers verkantete Kamera linst immer wieder an optischen Barrieren vorbei, späht durch Schlitze, lauert hinter Gittern, Mauern, Fenstern auf entscheidende Augenblicke; der Anti-Held (wie sein Darsteller ein waschechter Cockney) wird dabei häufig in low-angle shots fotografiert – was ihm gleichwohl nichts Heroisch-Überragendes verleiht, da er fortdauernd von den tiefhängenden Decken trostloser Szenerien (Bauten: Ken Adam) in seine undankbare Rolle gezwängt erscheint. Am Ende bringt dann ironischerweise Palmers angeborener Hang zu Renitenz und Insubordination die schmuddlige Angelegenheit wieder ins Reine.

R Sidney J. Furie B Bill Canaway, James Doran V Len Deighton K Otto Heller M John Barry A Ken Adam S Peter Hunt P Harry Saltzman D Michael Caine, Nigel Green, Guy Doleman, Sue Lloyd, Gordon Jackson | UK | 109 min | 1:2,35 | f | 18. März 1965

3.3.65

Il momento de la verità (Francesco Rosi, 1965)

Der Augenblick der Wahrheit

Spanien. Sonne. Staub. Stiere. Stierkämpfer. Miguelin, ein armer Kerl aus dem provinziellen Irgendwo sieht in der Arena die einzige Chance, seinem Herkommen und der darin eingeschriebenen Zukunft zu entrinnen. Nicht ohne Talent aber letztlich ohne Berufung, geht er in die Stierkampfschule, wird »entdeckt«, von einem Agenten groß gemacht. Der Erfolg und seine Früchte – Cabriolets, Partys, amerikanische Geliebte – stellen sich bald ein, während die Lust auf den nächsten Kampf nach und nach schwindet. Aber die Show muß weitergehen – bis zum Augenblick der Wahrheit, da die Hörner eines Stieres Miguelins »Karriere« tödlich beenden. Die dokumentarische Empathie von Franceso Rosi (Regie) und der poetische Naturalismus von Gianni Di Venanzo (Kamera) stellen – ohne Wertungen, ohne Urteil – die Härten der nackten (und blutigen) Wirklichkeit gegen die Illusionen vom besseren Leben und ergründen zugleich – am Beispiel der Corrida – das Verhältnis von Kultus und Kultur. Eine höchst sinn­liche Geschichte der Grausamkeit unter blankem südlichen Himmel.

R Francesco Rosi B Francesco Rosi, Pedro Beltrán, Ricardo Muñoz Suay, Pere Portabella K Gianni Di Venanzo, Pasqualino De Santis M Piero Piccioni A Francesco Rosi, Mario Serandrei S Mario Serandrei P Antonio Cervi, Francesco Rosi D Miguel Mateo ›Miguelín‹, José Gómez Sevillano, Pedro Basauri ›Pedrucho‹, Linda Christian | I & E | 110 min | 1:2,35 | f | 3. März 1965

2.3.65

The Sound of Music (Robert Wise, 1965)

Meine Lieder, meine Träume

Als hätte Robert Wise viel zu viele Heimat- und Schlagerfilme gesehen, fliegt das Auge der Kamera (in Todd-AO!) erst einmal über jede Menge idyllischer Alpentäler, -seen und -wiesen, um sodann eine wie besoffen mit sich selbst tanzende Julie Christie ins Visier zu nehmen, die mit ausgebreiteten Armen »The hills fill my heart with the sound of music!« schmettert. Wise erreicht die luftigen Höhen dieser konsequent ausgespielten Peinlichkeit mühelos immer wieder, und spätestens wenn Christopher Plummer alias Baron von Trapp alias Bill Lee (Stimme) beklampft und bejankert im Kreise seiner Kinderschar »Edelweiß, Edelweiß, bless my homeland forever« zum Besten gibt, kann man die künst­lerische Entschiedenheit dieser einmaligen Huldigung Hollywoods an Kultur und Werte des alten Europa nur noch mit offenem Mund bestaunen. Die Breitwand-Adaption von Rogers’ und Hammersteins monumental-verschmockter Salzburger Familienoperette mit singenden Nonnen, musikalischen Priestern und schnarrenden Nazis bereitet dem masochistischen Connaisseur – schon we­gen ihrer gefühlten Endlosigkeit – ein ähnliches Vergnügen wie eine ganz, ganz langsame Steinigung mit Mozartkugeln.

R Robert Wise B Ernest Lehman V Maria Augusta Trapp, Howard Lindsay, Russel Crouse K Ted McCord M Richard Rogers A Boris Leven S William Reynolds P Robert Wise D Julie Andrews, Christopher Plummer, Eleanor Parker, Richard Haydn, Peggy Wood | USA | 174 min | 1:2,35 | f | 2. März 1965