23.2.62

Das Geheimnis der schwarzen Koffer (Werner Klingler, 1962)

Bevor sie von einem schwirrenden Dolch durchbohrt werden, finden die Opfer des Londoner »Messermörders«, quasi als Vorankündigung der großen Reise, die sie antreten werden, ihre gepackten Koffer. Scotland-Yard-Inspektor Finch (Joachim Hansen) kommt dahinter, daß sämtliche Erstochenen in irgendeiner Form mit der Todesdroge ›Meskadrin‹ (»Die Menschen, die es nehmen, sind rettungslos verloren!«) zu tun hatten … Werner Klingler hat Mühe, dieser lahm um Sucht und Rache kreisenden Bryan-Edgar-Wallace-Adaption Momente von Interesse oder Spannung abzugewinnen: Die Schwarzweißbilder (Richard Angst) entwickeln kaum beunruhigende Atmosphäre, der Humor (Chris Howland als kindischer »Tonjäger«) bleibt so steif wie eine Melone. Allein die jahrmarktsorgelhaft quäkende Musik (Gert Wilden) und Leonard Steckel in einer Doppelrolle als verlotterter Kassenarzt und kultivierter Schloßherr (mit moderner Rauschgiftküche im Kellergewölbe) kitzeln gelegentlich die Nerven. PS: Mit Gusto fürs Absurde wird Jess Franco denselben Stoff acht Jahre später unter dem Titel »Der Todesrächer von Soho« in ein kinematographisches Delirium verwandeln.

R Werner Klingler B Percy Allan (= Gustav Kampendonk) V Bryan Edgar Wallace K Richard Angst M Gerd Wilden A Paul Markwitz S Walter Wischniewsky P Artur Brauner D Joachim Hansen, Senta Berger, Hans Reiser, Leonard Steckel, Chris Howland | BRD | 85 min | 1:1,66 | sw | 23. Februar 1962

22.2.62

Boccaccio ’70 (Mario Monicelli & Federico Fellini & Luchino Visconti & Vittorio De Sica, 1962)

Boccaccio ’70

Ein Omnibusfilm: vier Akte – tragikomisch, satirisch, ironisch, launig – über den Waren- und den wahren Charakter der Gefühle … Mario Monicelli erzählt von »Renzo e Luciana«, die ihre Ehe im Betrieb geheimhalten müssen, da es den weiblichen Mitarbeitern untersagt ist zu heiraten. Eine Geschichte aus dem italienischen Wirtschaftwunder, angesiedelt im boomenden Mailand, elegant fotografiert, voller Einblicke in die Welt der kleinen Angestellten, die sich von blaffenden Vorgesetzten schurigeln lassen müssen, die ihr kleines Heil in Massenvergnügungen und kreditiertem Konsum suchen: Leben und Lieben auf Raten. Federico Fellinis »Le tentazioni del dottor Antonio« zeigt einen bigotten römischen Moralisten, der den üppigen Reizen einer Werbeträgerin für Milch (»Bevete più latte!«) erliegt: ein aufgeblähtes Pasticchio bekannter, zum quietschbunten L’art pour l’art geronnener Fellini-Motive, eine (Selbst-)Parodie, so überdimensional wie die Brüste von Anita Ekberg. Luchino Visconti schaut hinter die dicken Mauern eines mondänen Mailänder Palazzos: »Il lavoro« gibt einen Vorgeschmack auf die hermetischen Vivisektionen geschlossener Gesellschaften, mit denen »La caduta degli dei« und »Gruppo di famiglia in un interno« aufwarten werden. Romy Schneider und Tomas Milian sind die Protagonisten des zwischen hölzernen Wandverkleidungen und schweren Draperien ablaufenden, dramödiantischen Kammerspiels, das die Verwandlung einer gescheiterten Ehe in eine gewerbliche Unternehmung beschreibt. Vittorio De Sicas »La riffa«, die zugleich harmloseste und sinnenfreudigste Episode, präsentiert Sophia Loren als geschäftstüchtige Schießbudenbesitzerin, die sich den Männern eines norditalienischen Marktfleckens als Hauptgewinn einer konspirativ abgehaltenen Lotterie anbietet, um ihr Glück bei einem zupackenden Stierhüter zu finden … Allen Regisseuren gemeinsam ist ein Hang zu barocker Weitschweifigkeit, wodurch sich die Produzenten nach der Premiere genötigt sahen, den Film um den Monicelli-Beitrag zu kürzen.

R Mario Monicelli (1), Federico Fellini (2), Luchino Visconti (3), Vittorio De Sica (4) B Giovanni Arpino (1), Italo Calvino (1), Suso Cecchi D’Amico (1 & 3), Mario Monicelli (1), Ennio Flaiano (2), Tullio Pinelli (2), Goffredo Parise (2), Fedrico Fellini (2), Luchino Visconti (3), Cesare Zavattini (4) K Armando Nannuzzi (1), Otello Martelli (2 & 4) Giuseppe Rotunno (3) M Piero Uminiani (1), Nino Rota (2 & 3), Armando Trovajoli (4) A Piero Gherardi (1), Piero Zuffi (2), Mario Garbuglia (3), Elio Costanzi (4) S Adriana Novelli (1 & 4), Leo Cattozzo (2), Mario Serandrei (3) P Carlo Ponti, Tonino Cervi D Marisa Solinas (1), Germano Gilioli (1), Anita Ekberg (2), Peppino Di Filippo (2), Romy Schneider (3), Tomas Milian (3), Romolo Valli (3), Sophia Loren (4), Luigi Giuliani (4) | I & F | 208 / 158 min | 1:1,66 | f | 22. Februar 1962

# 921 | 28. November 2014

6.2.62

All Night Long (Basil Dearden, 1962)

Die heiße Nacht

»Othello« meets Jazz. »All Night Long« verdichtet Shakespeares Eifersuchtstragödie auf eine einzige (Party-)Nacht und einen einzigen Set. Als Bühne dient ein zur Luxusresidenz umgebautes Lagerhaus im Londoner East End – zu Gast bei Musikproduzent Rod Hamilton (Richard Attenborough) sind unter anderem Dave Brubeck, Charles Mingus und John Dankworth (der die Titelmelodie der »Avengers« komponierte). Im Zentrum des spannungsgeladenen Geschehens steht der frustriert-hochbegabte Drummer Johnny Cousin (≈ Jago), der die Ehe des (schwarzen) Bandleaders Rex und der (weißen) Sängerin Delia zu ruinieren versucht, indem er gegenüber dem Gatten eine Affäre der Ehefrau mit dem labilen Saxophonisten Cass insinuiert … Regisseur Basil Dearden und Produzent Michael Relph interessieren sich (anders als in ihrem drei Jahre zuvor entstandenen Kriminaldrama »Sapphire«) in keiner Weise für verblümte oder unverblümte Rassenkonflikte – sie richten ihr Augenmerk ganz auf den bohrenden Ehrgeiz und die destruktive Energie des Intriganten Johnny (Patrick McGoohan spielt ihn mit der Gekränktheit, der Arroganz und der falschlächelnden Infamie des ewig Zukurzgekommenen), der Delias begnadete Stimme braucht, um seine eigene Combo zu etablieren. Doch Erfolg, scheint das Ende dieses recht theatralischen, dabei aber exakt rhythmisierten Films (der nicht so tödlich ausgeht wie das Stück) zu sagen, hat nicht allein mit Talent oder Willenskraft zu tun sondern vor allem mit Liebesfähigkeit – zu anderen und zu sich selbst.

R Basil Dearden B Peter Achilles (= Paul Jarrico), Nel King V William Shakespeare K Ted Scaife M diverse A Michael Relph S John D. Guthridge P Michael Relph, Bob Roberts D Patrick McGoohan, Richard Attenborough, Keith Michell, Paul Harris, Marti Stevens | UK | 92 min | 1:1,66 | sw | 6. Februar 1962