29.6.60

Strangers When We Meet (Richard Quine, 1960)

Fremde, wenn wir uns begegnen

»We’re all happily married with two kids.« Regisseur Richard Quine und Autor Evan Hunter erzählen ein suburbanes Melodrama, wobei sie das Drama so gut wie weglassen: Ein verheirateter Mann (Kirk Douglas) und eine verheiratete Frau (Kim Novak) verlieben sich ineinander, und der Film schlägt keinerlei explosives Kapital aus der banalen Konstellation – stattdessen werden zurückhaltend und feinfühlig Figuren und Atmosphäre der ausgehenden 1950er Jahre entwickelt. Douglas ist ein Architekt mit hochfliegenden Plänen, dessen Frau (Barbara Rush) die Sicherheit bevorzugt; Novak hat einen Gatten, der ihre Bedürfnisse fast offensiv ignoriert. Eine tiefes Fremdheitsgefühl (sich selbst und anderen gegenüber) bestimmt die wohlarrangierten Existenzen; zwei Menschen scheint (für eine Weile wenigstens) die Überwindung dieser Beziehungslosigkeit möglich... Während Charles Langs Cinema­Scope-Optik die Welt der Martinis und Barbecues, der Schulbusse und Straßenkreuzer, der gepflegten Rasenflächen und kultivierten Interieurs präzise ins Bild setzt, ist es vor allem das kühl-differenzierte Spiel der Akteure – Walter Matthau (als Tartuffe der Vorstadt) und Ernie Kovacs (als frauenfressender Literat) glänzen in pointierten Nebenrollen –, das die vermeintliche Seifenoper in die Nähe von antonionesken Tableaus der Unwirtlichkeit und Entfremdung rückt.

R Richard Quine B Evan Hunter V Evan Hunter K Charles Lang M George Duning A Ross Bellah S Charles Nelson P Richard Quine D Kirk Douglas, Kim Novak, Ernie Kovacs, Barbara Rush, Walter Matthau | USA | 117 min | 1:2,35 | f | 29. Juni 1960

24.6.60

Herrin der Welt (Teil II) (William Dieterle, 1960)

Im zweiten Teil von »Herrin der Welt« geht die (gelegentlich recht zeitlupenhafte) Jagd nach dem entführten Professor und seiner (je nachdem seligmachenden oder todbringenden) Formel weiter und führt über Bangkok durch den CCC-Dschungel (mit Tiger – vermutlich aus dem Circus Sarrasani) ins kambodschanische Angkor Wat. Die Fortsetzung bringt nicht nur ein paar schöne dokumentarische Bilder aus Südostasien, sondern gewinnt gegen Ende sogar ein wenig an Fahrt, wenn der bisher im Schatten der bösen Madame Latour stehende Wolfgang Preiss (auch schaupielerisch) die Initiative ergreift und sich an die Spitze der Schurkentruppe putscht. Wie man erwarten darf, ohne Erfolg: Die (gelbe) Gefahr wird gebannt – wir sind noch einmal davon gekommen.

R William Dieterle B Jo Eiseinger, Harald G. Petersson K Richard Angst M Roman Vlad A Willi Schatz, Helmut Nentwig S Ira Oberberg P Artur Brauner D Martha Hyer, Micheline Presle, Carlos Thompson, Wolfgang Preiss, Gino Cervi | BRD & F & I | 87 min | 1:1,37 | f | 24. Juni 1960

23.6.60

Bells Are Ringing (Vincente Minnelli, 1960)

Anruf genügt – komme ins Haus

Ein doppelter, eigentlich ein dreifacher Abschied: der letzte Film von Judy Holliday, die letzte Schöpfung des MGM-Musical-Gottvaters Arthur Freed und zugleich dessen zwölfte – und letzte – Zusammenarbeit mit Vincente Minnelli. »Bells Are Ringing« erzählt von Ella Peterson alias Melisande Scott (herzerwärmend-nervtötend: Judy Holliday), die sich als engagierte Mitarbeiterin des New Yorker Telefon-Auftragsdienstes ›Susanswerphone‹ in die Leben einiger problematischer Klienten (darunter Dean Martin als schreibgehemmter Broadway-Autor) nicht nur einmischt, sondern diese regelrecht umkrempelt und voller Elan zum Positiven wendet – »Pretty shabby trick, saving a man’s life!« Artifiziell wie eh und je, aber nicht ganz so stilsicher wie sonst, plaziert Minnelli seinen film enchanté auf halbem Wege zwischen »down to earth« und »bigger than life«; das Ergebnis kann (trotz klassischer Songs und cleverer Dialoge von Comden & Green) kaum darüber hinwegtäuschen, daß die Hochblüte des Genres nur mehr eine schöne Erinnerung ist.

R Vincente Minnelli B Betty Comden, Adolph Green K Milton Krasner M Jule Styne A Preston Ames, George W. Davis S Adrienne Fazan P Arthur Freed D Judy Holliday, Dean Martin, Fred Clark, Eddie Foy Jr., Jean Stapleton | USA | 126 min | 1:2,35 | f | 23. Juni 1960

22.6.60

House of Usher (Roger Corman, 1960)

Die Verfluchten

»Evil is not just a word. It is a reality.« Zur Einstimmung: wabernder Nebel in Knallfarben; dann ein einsamer Reiter, der einen toten Wald durchmißt. Ein Spukhaus ragt aus dem Dunst – brüchiger Schauplatz eines Familiendramas von schicksalhafter Verdammnis: Hinter den düsteren Mauern schwelen (seelische) Krankheit und (moralische) Verwesung. Roger Corman, ein klarer Feind von Zwischentönen, läßt in seiner morbid-ridikülen Edgar-Allen-Poe-Adaption Sand aus Wandspalten rieseln, Lüster von der Decke krachen, blutige Hände aus halbgeöffneten Särgen tasten, Interieurs in Flammen aufgehen, als wären sie in Benzin getränkt, indes aus dem Off die Totenchöre säuseln. Vincent Price zelebriert als überempfindlicher Aristokrat, an dessen dünnem Nervenkostüm die blutige Schuld der Vorfahren zerrt, mit fahler Wonne die Lust am Untergang – und verwischt, pathetisch gestikulierend, die Grenze zwischen Leben und Tod.

R Roger Corman B Richard Matheson V Edgar Allan Poe K Floyd Crosby M Les Baxter A Daniel Haller S Anthony Carras P Roger Corman D Vincent Price, Mark Damon, Myrna Fahey, Harry Ellerbe | USA | 79 min | 1:2,35 | f | 22. Juni 1960

16.6.60

Psycho (Alfred Hitchcock, 1960)

Psycho
 
»I thought I'd gotten off the main road.« Die Sekretärin Marion Crane (Janet Leigh) stiehlt 40.000 Dollar, um mit ihrem hochverschuldeten Geliebten ein neues Leben beginnen zu können. Auf der Flucht gelangt sie in ein einsam gelegenes Motel, das von Norman Bates (Anthony Perkins) geführt wird, einem kauzigen jungen Mann (»My hobby is stuffing things.«), der offenbar unter der Fuchtel seiner gebieterischen alten Dame steht … In »Psycho« geht es Alfred Hitchcock vermutlich weder um Geld noch um Liebe, weder um Diebstahl noch um Mord, weder um Moral noch um Amoral, weder um Kriminalität noch um Kriminalistik, es geht ihm wohl vielmehr um den filmischen Gebrauch dieser Motive zur ungehemmten Manipulation des Zuschauers. Sicher geht es auch um die Last der Vergangenheit und um verzweifelte Selbstbefreiungsversuche, um gespaltene Identitäten und um die Mutter als unsterbliches Monster (»Oh, God, Mother! Blood! Blood!«), vor allem aber geht es um glasklare Schwarzweiß-Fotografie und um die Suggestivkraft von Musik, um minutiös durchkomponierte Schnittsequenzen und um die technische Erzeugung von Emotion. Und es geht um die Unheimlichkeit des Blickes: Blicke in die starrenden Augen ausgestopfter Vögel und in die blendenden Scheinwerfer entgegenkommender Autos, Blicke durch Wandlöcher und durch Duschvorhänge, Blicke in Spiegel und in tödliche Abgründe. Last but not least geht es um Bilder – Bilder, die sich, einmal gesehen, ins Gedächtnis brennen, so wie sich Licht in die Filmemulsion einschreibt.

R Alfred Hitchcock B Joseph Stefano V Robert Bloch K John L. Russell M Bernard Herrmann A Robert Clatworthy, Joseph Hurley Ko Helen Kolvig S George Tomasini P Alfred Hitchcock D Anthony Perkins, Janet Leigh, Vera Miles, John Gavin, Martin Balsam | USA | 109 min | 1:1,85 | sw | 16. Juni 1960

5.6.60

Das Glas Wasser (Helmut Käutner, 1960)

»Ein reinliches Gewissen / ist ein sanftes Ruhekissen. / Wie schön, wenn du moralisch bist, / doch keiner will es wissen.« Amourös-musikalisches Lust- und Intrigenspiel am Hofe der britischen Königin Anne: die konservative Herzogin von Marlborough (Hilde Krahl) und der liberale Zeitungsmann Henry St. John (Gustaf Gründgens) wetteifern um politischen Einfluß auf die schwache Majestät (Liselotte Pulver). Mittels launiger Couplets, marionettenhaft agierender Darsteller und ultrastilisierter Kulissen in weiß-goldenem Zuckerbäcker-Modernismus (Bau: Herbert Kirchhoff und Albrecht Becker) frisiert Helmut Käutner die gutgebaute Komödie des französischen Dramatikers Eugène Scribe zur preziösen Kabarettrevue, die ohne übertriebene Tiefgründigkeit Fragen von Krieg und Frieden, Macht und Gefühl, individuellen Interessen und öffentlicher Meinung verhandelt. Wichtiger als die großen Themen sind allemal die von allen Seiten des Stücks (hinter-)listig instrumentalisierten Liebeshändel um einen schmucken Gardeoffizier und ein reizendes Kammerkätzchen. Ein sympathischer filmischer Bluff auf glattem Studioparkett.

R Helmut Käutner B Helmut Käutner, Willibald Eser V Eugène Scribe K Günther Anders M Bernhard Eichhorn A Herbert Kirchhoff, Albrecht Becker S Klaus Dudenhöfer P Georg Richter D Gustaf Gründgens, Hilde Krahl, Liselotte Pulver, Sabine Sinjen, Horst Janson | BRD | 83 min | 1:1,66 | f | 5. Juni 1960

# 1149 | 2. Februar 2019

3.6.60

Seishun zankoku monogatari (Nagisa Oshima, 1960)

Nackte Jugend

Ein Junge und ein Mädchen laufen mit rebellischen Gesichtern durch die Glitzerwelt des nächtlichen Tokio. Eher zufällig entdecken sie eine sprudelnde Geldquelle: Sie lockt lüsterne ältere Herren an, die von ihm brutal abgezogen werden. Nagisa Oshimas schroff-resigniertes Scope-Dossier portraitiert (in stechenden Farben und hektischen Bildern) eine Jugend, deren kriminelles Protestgebaren lediglich die Fortsetzung des Konformismus mit anderen Mitteln ist. Zwar schwört sich das (auto-)aggressive Paar – gegen die Zweifel der traurigen Alten – ewige Treue, aber die aus ihrem Liebesversuch gewonnene Erkenntnis ist ebenso bitter wie klar: Ganz egal ob zusammen oder allein, der Mensch muß sich (und/oder andere) verkaufen, wenn er überleben will – und das Teilen dieses Leides bedeutet nicht seine Halbierung sondern seine Verdoppelung. PS: Das letzte Bild des Films vereint den Jungen und das Mädchen dann doch noch. Endgültig.

R Nagisa Oshima B Nagisa Oshima K Takashi Kawamata M Riichiro Manabe A Koji Uno S Keiichi Uraoka P Tomio Ikeda D Yûsuke Kawazu, Miyuki Kuwano, Yoshiko Kuga, Fumio Watanabe, Shinji Tanaka | JP | 96 min | 1:2,35 | f | 3. Juni 1960

1.6.60

Les jeux de l’amour (Philippe de Broca, 1960)

Liebesspiele

Philippe de Brocas leichtfüßiges Debüt, eine romantische Pariser Farce zwischen Panthéon und den Kellerbars von Saint-Germain-des-Prés: Suzanne, reizende Besitzerin eines idyllisch verkramten Trödelladens, lebt mir Victor (Jean-Pierre Cassel), der, wenn er nicht gerade voller Akribie und Hingabe Rosen malt, aufgekratzt durch die Welt tanzt. Sie will heiraten und ein Kind – er nicht unbedingt. François, der nette Nachbar, ein (etwas zu) patenter Immobilienmakler, würde liebend gerne einspringen, um die Gatten- und Vaterrolle zu übernehmen … Jean-Luc Godard wird die gleiche Geschichte ein Jahr später in »Une femme est une femme« noch einmal erzählen, besser gesagt: fachkundig fragmentieren und anspielungsreich wieder zusammensetzen; de Broca dagegen, der kein intellektueller film buff ist sondern das Honigkuchenpferd der Nouvelle Vague, dreht einen charmant-abschweifigen, sorgenfrei um sich selbst kreisenden Film über das Glück zu zweit – und zu dritt.

R Philippe de Broca B Philippe de Broca, Daniel Boulanger K Jean Penzer M Georges Delerue A Jacques Saulnier, Bernard Evein S Laurence Méry P Claude Chabrol, Roland Nonin D Jean-Pierre Cassel, Geneviève Cluny, Jean-Louis Maury, Lud Germain, Mario David | F | 86 min | 1:1,66 | sw | 1. Juni 1960