7.12.56

Der Hauptmann von Köln (Slatan Dudow, 1956)

Köln, in den Jahren des Wirtschaftwunders. Die Neonreklamen blinken, aber der arbeitslose Kellner Hans Albert Hauptmann (Rolf Ludwig) kriecht auf dem Zahnfleisch. Als er bei einem verschwitzten Kameradschaftsabend ehemaliger Wehrmachtssoldaten mit einem gewissen Hauptmann Hans Albert verwechselt wird, schlüpft er, ohne lange zu fackeln, in die Rolle des totgeglaubten Offiziers. Während der echte Hauptmann (Erwin Geschonneck), der sich wegen einiger häßlicher Kriegsverbrechen totstellen mußte, als Untermieter bei seiner eigenen Witwe lebt, wird der falsche Hauptmann von den Herren (und Damen) der Bonner Republik empfangen wie ein verlorener Sohn – und macht steile Karriere: Personalchef bei der Montan AG, Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär in spe … Schon in »Frauenschicksale« zeigte Defa-Regisseur Slátan Dudow ein Faible für die cartooneske Ausmalung westlicher Lebensform; »Der Hauptmann von Köln«, eine grelle Politfarce, ein antifaschistisches Graubuch in Agfacolor, bietet ihm Gelegenheit, seiner filmisch-satirischen Leidenschaft ausgiebig zu frönen. (Vielleicht etwas zu ausgiebig – ein wenig Straffung hätte dem Werk nicht geschadet.) Wo das Adenauer-Kino (wenn überhaupt) höchstens kabarettistische Anspielungen auf bestimmte Entwicklungen im eigenen Lande wagt, läßt Dudow in Oskar Pietschs phantastisch-realistischen Studiobauten ein naturgetreu überzeichnetes Panoptikum bundesdeutscher Typen aufmarschieren: klüngelnde Amtsträger und zielbewußte Wirtschaftkapitäne, willig-fordernde society girls und alte Kämpen, die explosive Morgenluft wittern. Ob es sich dabei um die tendenziöse Verzerrung bedauerlicher Einzelfälle oder um das schonungslose Abbild symptomatischer Erscheinungen handelt, mag der Betrachter, je nach Standpunkt, selbst entscheiden.

R Slátan Dudow B Michael Tschesno-Hell, Henryk Keisch, Slátan Dudow K Werner Bergmann, Helmut Bergmann M Wilhelm Neef A Oskar Pietsch S Lena Neumann P Adolf Fischer D Rolf Ludwig, Erwin Geschonneck, Christel Bodenstein, Kurt Steingraf, Marie-Luise Etzel | DDR | 118 min | 1:1,37 | f | 7. Dezember 1956

6.12.56

Hollywood or Bust (Frank Tashlin, 1956)

Alles um Anita

»Land of stardust and land of glamour / Vistavision and cinerama.« Eine Hommage an das Kino und seine Klischees: Während die Credits laufen, posiert eine blonde Pin-up-Walküre (Anita Ekberg) in wechselnden Kostümen standbildhaft vor diversen Tinseltown-Szenerien – Hotels, Palmen, Restaurants, Studiokulissen. So statuarisch wie das Opening gestaltet sich auch der weitere Verlauf des Werks, obschon der (dünne) Erzählfaden einer Reisebewegung quer durch die Vereinigten Staaten folgt. In New York gewinnen der eingefleischte Filmfan Malcolm Smith (Jerry Lewis) und das ausgekochte Schlitzohr Steve Wiley (Dean Martin) – der eine ehrlich, der andere betrügerisch – zu gleichen Teilen den Hauptpreis einer Lotterie: ein feuerrotes Cabriolet. Gemeinsam macht sich das ungleiche Paar auf den Weg nach Westen: Malcolm will (in Begleitung der wachsamen Dogge Mr. Bascomb) seiner Abgöttin Anita in Hollywood einen Besuch abstatten, wogegen Steve die Luxuskarosse unterwegs zu versilbern gedenkt, um Schulden zu begleichen ... Regisseur Frank Tashlin bedient sich einer Art Schnappschuß-Dramaturgie, die das touristisch-musikalische Roadmovie um Starkult, Glück(sspiel) und Freundschaft (dem keine weitere Martin-Lewis-Komödie folgen wird) in eine unterhaltsame Reihe von gag cartoons und comicstripkurzen Absurdramoletten zerlegt.

R Frank Tashlin B Erna Lazarus K Daniel Fapp M Walter Scharf A Hal Pereira, Henry Bumstead S Howard A. Smith P Hal B. Wallis D Dean Martin, Jerry Lewis, Pat Crowley, Maxie Rosenbloom, Anita Ekberg | USA | 95 min | 1:1,85 | f | 6. Dezember 1956

# 1072 | 3. September 2017

1.12.56

The Girl Can't Help It (Frank Tashlin, 1956)

Schlagerpiraten

»A story about music … and love … and marriage.« ›Fats‹ Murdock, ein crook, der sein Vermögen mit Spielautomaten machte (Edmond O’Brien), will heiraten – und zwar einen Star. Da die Auserwählte völlig unbekannt ist, beauftragt der Ganove den alkoholischen Agenten Tom Miller (Tom Ewell), sie zum Star zu machen, denn: »How can I marry a nobody?« Das Objekt der Verwandlung ist die sexbombige Platinblondine Jayne Mansfield (die aussieht (und spielt), als hätte der frühere Animationsregisseur Frank Tashlin sie direkt aus einem seiner Zeichentrickfilme importiert) – dabei wäre das Busenwunder viel lieber Ehefrau und Mutter, »but no one thinks I’m equipped for motherhood«. Tashlin nutzt die betont törichte Erzählung (»in the grandeur of CinemaScope and in gorgeous, lifelike colours of DeLuxe«) nicht nur als Trägerfolie für Auftritte von taufrischen Rock’n’Roll-Performern (Little Richard, Fats Domino, Eddie Cochran, Gene Vincent), sondern vor allem um sich über Teenager-Kultur, Sexsymbolismus sowie blinden Hunger nach Ruhm lustig zu machen – und um Spielfilmbilder in Cartoons zu verwandeln: Wenn Mansfield ihre ausladenden Formen eine Straße hinunterbewegt, schmilzt dem Eismann das Eis auf dem Wagen, schäumt dem Milchmann die Milch aus den Flaschen, zerplatzen dem Nachbarn die Brillengläser: »If she walks by, the men folks get engrossed / She can’t help it, the girl can’t help it.«

R Frank Tashlin B Frank Tashlin, Herbert Baker V Garson Kanin K Leon Shamroy M diverse A Leland Fuller, Lyle R. Wheeler S James B. Clark P Frank Tashlin D Tom Ewell, Jayne Mansfield, Edmond O’Brien, Julie London, Henry Jones | USA | 99 min | 1:2,35 | f | 1. Dezember 1956

10.11.56

Un condamné à mort s’est echappé (Robert Bresson, 1956)

Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen

Mit einer Schrifttafel weist Robert Bresson zu Beginn des Films auf die Wahrhaftigkeit der Geschichte hin und erklärt, sie so wiederzugeben, wie sie ist, schmucklos, nüchtern: »Je la donne comme elle est, sans ornement.« Lyon, 1943: Fontaine (François Leterrier), wird als Häftling der Gestapo ins Gefängnis Montluc gebracht. Schon auf dem Transport unternimmt er einen Fluchtversuch, in der Zelle zielen sein Denken und Handeln ganz und gar auf das Entkommen. Begleitet von fernen Geräuschen – Zugrattern, Glockengeläut, Schüsse der Pelotons – und Fontaines nüchternen Kommentaren aus dem Off zeigt Bresson die immergleichen Abläufe des Haftalltags – Essensausgabe, Appell, Hofgang, Kübelreinigung –, die immergleichen Situationen – Zelle, Flur, Treppe, Waschraum –, die heimliche Solidarität der Gefangenen, die minutiösen Fluchtvorbereitungen des Protagonisten (Löffel und Rasierklinge als gegebene Werkzeuge, Stoff und Draht als vorgefundene Materialien) ausschließlich in halbnahen und nahen Kameraeinstellungen, in Groß- und Detailaufnahmen. Das permanente Enge der Kadrage, die konsequente Verweigerung der Übersicht schaffen – ohne Einsatz klassischer Spannungselemente – ein drückendes Klima der Unsicherheit, der Beklemmung, des Ausgeliefertsein, in dem Fontaines beharrliche (wenn auch kaum aussichtsreich scheinende) Aktivität zur Methode des Überlebens wird. Erst in der letzten Einstellung, nachdem der zum Tode Verurteilte (zusammen mit einem Kameraden) entflohen ist, öffnet sich das Bild, einmalig, zur Totale. Die Rückkehr in die Freiheit ist dabei kein Triumphzug, sondern ein Gang in die Nacht, in den Nebel.

R Robert Bresson B Robert Bresson V André Devigny K Léonce-Henri Burel M Wolfgang Amadeus Mozart A Pierre Charbonnier S Raymond Lamy P Alain Poiré, Jean Thuillier D François Leterrier, Charles Le Clainche, Roland Monod, Jack Ertaud, Maurice Beerblock | F | 101 min | 1:1,37 | sw | 10. November 1956

# 1125 | 11. Juni 2018

29.10.56

Written on the Wind (Douglas Sirk, 1956)

In den Wind geschrieben

»Just like the dying leaves / our dreams we've calmly thrown away.« Hadley. So heißt die Stadt. So heißt das Unternehmen. So heißt die Familie. Hadley. Das ist die Welt in einer Nußschale. Besser gesagt: in einem Ölfaß. Öl. Der Stoff, aus dem die amerikanischen Träume sind. Und die Alpträume … Ein Sportwagen rast durch die Nacht. Ein Sturm fegt ums Herrenhaus. Ein Mann spielt verrückt. In der Bibliothek fällt ein Schuß. Das Ende eines Traums. Und eines Alptraums. Einst hatte Selfmade-Millionär Jasper Hadley einen Jungen aus einfachen Verhältnissen als Ziehkind aufgenommen, damit sein Sohn und seine Tochter den Kontakt zur Realität nicht verlören; Jahre später steht Mitch Wayne (Rock Hudson) mit beiden Beinen im Leben, während Kyle (Robert Stack) und seine Schwester Marylee (Dorothy Malone) sich dem Suff und der Lust, den falschen Hoffnungen und dem Selbstmitleid der Überpriveligierten hingeben. Der Auftritt der selbstbewußt-lässigen Lucy Moore (Lauren Bacall) löst – nach einem kurzen Scheinfrieden – endgültig die Katastrophe in dieser texanischen Tragödie aus. Reichtum und Mangel, Impotenz und Erotomanie, brennende Sehnsucht und heulender Verzicht – Douglas Sirk inszeniert das überlebensgroße Drama dieser, im Schatten riesiger Bohrtürme und gigantischer Tanks liegenden, luxuriösen Familienhölle mit seifenopernhafter Wirkungskraft und (gesellschafts-)kritischer Distanz, in expressiven Farben und schnörkellos komponierten Bildern. Hochglanz-Southern-Gothic von erster Qualität: »What's written on the wind / is written in my heart.«

R Douglas Sirk B George Zuckerman V Robert Wilder K Russell Metty M Frank Skinner A Alexander Golitzen, Robert Clatworthy S Russell F. Schoengarth P Albert Zugsmith D Rock Hudson, Lauren Bacall, Robert Stack, Dorothy Malone, Robert Keith | USA | 99 min | 1:2,0 | f | 29. Oktober 1956

# 938 | 3. Februar 2015

26.10.56

La traversée de Paris (Claude Autant-Lara, 1956)

Zwei Mann, ein Schwein und die Nacht von Paris

»Dans chaque Français il y a un cochon qui sommeille … et dans chaque homme peut-être.« In einer Nacht während der deutschen Okkupation (Verdunklung!) schleppen zwei Männer – ein duckmäuserischer Schieber (Bourvil) und ein impulsiver Künstler (Jean Gabin) – ein schwarz geschlachtetes Schwein, verteilt auf vier Koffer, quer durch Paris. Während der eine mit dem Schleichhandel sein zweifelhaftes Auskommen findet, sucht der andere die Abwechslung, den Nervenkitzel, die Inspiration. Verfolgt von einer wachsenden Zahl herrenloser Köter, begegnen die beiden ungleichen, aber gleichermaßen abstoßend-sympathischen Transportarbeiter auf ihrem gefahrvollen Weg (vorbei an argwöhnischen Flics, uniformierten Patrouillen und betagten Nutten) einigen ehrwürdigen Vertretern der französischen Gesellschaft ihrer Zeit: Leisetretern und Pharisäern, Maulhelden und Nutznießern des Mangels – kurze Zusammentreffen, die grelle Schlaglichter in die Düsternis der Besetzungsmentalität werfen. Claude Autant-Lara inszeniert »La traversée de Paris« als schäbige Komödie voller unappetitlicher Momente (etwa wenn Bourvil Akkordeon spielen muß, um das Todesquieken der von Louis de Funès gepeinigten Sau zu übertönen), eine Komödie, die er nicht ohne Konsequenz in ein kümmerliches Drama umschlagen läßt, um zu guter (?) Letzt noch eine maliziöse Schlußpointe draufzusetzen. PS: »Die Pflastersteine auf der Straß’, / Die sollen jetzt sich spalten …«

R Claude Autant-Lara B Jean Aurenche, Pierre Bost V Marcel Aymé K Jacques Natteau M René Cloërec A Max Douy S Madeleine Gug P Henry Deutschmeister D Jean Gabin, Bourvil, Jeannette Batti, Louis de Funès, Robert Arnoux | F & I | 80 min | 1:1,37 | sw | 26. Oktober 1956

19.10.56

Der Meineidbauer (Rudolf Jugert, 1956)

»Das ist nicht mit zwei Worten zu erklären. Das ist ein Weg, den man da geht.« Schon die Titelsequenz läßt die dramatischen Brüche des (von Edgar G. Ulmer produzierten!) Films ahnen: Expressive Pinselschrift und kursive Fraktur stehen in leuchtendem Gelb vor lila bestrahltem Fels; dazu eine Musik (Friedrich Meyer), die unvermittelt zwischen einem unruhig treibenden Thrillerthema herrmannesker Prägung und traulicher Heile-Welt-Sinfonik wechselt. Rudolf Jugerts Anzengruber-Adaption verlegt den haßerfüllten Erbschaftsstreit um einen Bergbauernhof aus dem 19. Jahrhundert in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Matthias Ferner (Carl Wery), der ein Leben lang als erster Knecht die zweite Geige spielen mußte, unterschlägt das Testament des verunfallten Stiefbruders, in dem dieser den Hof seiner Geliebten Paula Roth (Heidemarie Hatheyer) und seinen beiden unehelichen Kinder vermacht; vor Gericht bezeugt Matthias mit einem Meineid, daß es die Verfügung nie gegeben habe – wird jedoch in Folge von einem armseligen Amtsdiener erpreßt, dem ein Beweis des Unrechts in die Finger gelangt … »Wer will bestreiten, daß ich ein Recht habe?« fragt empört der vom Bruder übergangene Matthias. »Ich will mein Recht!« beharrt die betrogene Paula, die zu keinem Kompromiß bereit ist. Heimat erscheint in diesem steinharten Heimatfilm kaum als friedliches Refugium, vielmehr als nächtliche Landschaft des Vorwurfs, des Ressentiments, der Verachtung, wo auch die Natur stets ihr Doppelgesicht zeigt: Der majestätisch ragende Berg ist zugleich lebensgefährlicher Abhang. Die Schuld treibt den unfrohen Schuldiger vor sich her, der Fluch der bösen Tat droht, sich fortzutragen in die nächste Generation, wird aber – das Genre fordert seinen sentimentalen Tribut – zuletzt aufgewogen von der Liebe: »Da kann man jetzt nichts mehr machen.«

R Rudolf Jugert B Erna Fentsch V Ludwig Anzengruber K Roger Hubert M Friedrich Meyer A Max Mellin S Lilian Seng P Edgar G. Ulmer D Carl Wery, Heidemarie Hatheyer, Christiane Hörbiger, Hans von Borsody, Joseph Offenbach, Attila Hörbiger | BRD | 104 min | 1:1,37 | f | 19. Oktober 1956

# 877 | 10. Juni 2014

15.10.56

Sorok perwij (Grigori Tschuchrai, 1956)

Der Einundvierzigste 

Ein Abenteuerfilm, eine Robinsonade, ein Melodram aus den Wirren des Russischen Bürgerkriegs. Marija ist Scharfschützin einer Einheit von Rotarmisten in der kasachischen Wüste. Vierzig Weißgardisten hat sie schon abgeknallt, als ihre Leute den gegnerischen Offizier Wadim gefangensetzen. Auf dem beschwerlichen Weg ins rote Hauptquartier kommt die ruppige Bolschewistin dem blauäugigen Zaristen näher, trägt dem feindlichen Schöngeist sogar ihre holprigen, aber tiefempfundenen Revolutionsverse vor. Bei der Überquerung des Aralsees gerät der Trupp in ein Unwetter. Das Paar strandet auf einer kleinen Insel, gelangt an einem märchenhaften Ort abseits von Zeit und Krieg. Für einen Moment pfeift die Liebe auf den Lauf der Geschichte, erobert sich eine kurze irreale Ewigkeit. Doch die Liaison zwischen dem Gestern und dem Morgen bleibt Episode, das unbarmherzige Heute bricht sich Bahn: Wadim wird Marias Einundvierzigster … Grigori Tschuchrai verzichtet fast völlig auf propagandistische Zuspitzung: Wadims Sehnsucht nach dem Frieden seiner Bibliothek, Marias Sehnsucht nach einer besseren Gesellschaft werden nicht ideologisch aufgewogen, der politische Gegensatz schafft in erster Linie die dramatische Situation. (Daß die (Protagonistin der) Zukunft ihr Glück zerstört, indem sie die (bzw. einen Vertreter der) Vergangenheit tötet, bleibt gleichwohl traurige Pointe der Erzählung.) Die hermetischen Künstlichkeit von »Sorok perwij« erinnert an die subversiven Gefühlsfilme Douglas Sirks; die poetischen Farbtableaus von Menschen in Sand und Meer (Kamera: Sergei Urussewski), die malerischen Visionen von Zärtlichkeit und Brutalität lassen die radikale, die tödliche Romantik einer Welt im historischen Umbruch sicht- und fühlbar werden.

R Grigori Tschuchrai B Grigori Kolutonow V Boris Lawrenjow K Sergei Urussewski M Nikolai Krjukow A Wladimir Kamski, Konstantin Stepanow S L. Lisenkowa P Mosfilm D Isolda Iswitskaja, Oleg Strischenow, Nikolai Krjutschkow | SU | 88 min | 1:1,37 | f | 15. Oktober 1956

10.10.56

Die Trapp-Familie (Wolfgang Liebeneiner, 1956)

»Vom Kloster zum Welterfolg« oder Der Klang der Musik. Wo Robert Wise im Fahrwasser von Rodgers und Hammerstein überlangen Salzburg-Camp abliefern wird, läßt Wolfgang Liebeneiner seinem Publikum treuösterreichischen Kitsch angedeihen: Ruth Leuwerik (die es, wie in fast jeder ihrer Rollen, schafft, einen Tick zu alt zu wirken) treibt als patent-naive Möchtegern-Nonne Maria dem verbohrten Ex-k.u.k.-Kapitän von Trapp (Hans Holt) die militärischen Flausen aus und bringt dessen vielköpfige Kinderschar auf volksmusikalischen Kurs. Der erfolgreichste Film des Adenauer-Kinos (27 Millionen Deutsche können nicht irren!) erzählt viel von Durchhalten in schwerer Zeit (in diesem Fall: die Jahre rund um den »Anschluß« von felix Austria an das Deutsche Reich) und von frohgemut-tapferer Kopf-hoch-Mentalität: »Wenn Gott eine Tür zuschlägt, öffnet er ein Fenster!« Liebeneiner inszeniert über weite Strecken heimatlich-kreuzbrav und restaurativ-wirkungssicher; wenn er aber gegen Ende des Films – die Trapps sind mittlerweile wegen Schwierigkeiten mit den Nazis in Amerika (genauer gesagt: auf Ellis Island) gelandet – zwei plutokratisch-kulturjüdische Broadway-Agenten (die Herren Samish und Petroff) auftreten läßt, kann er den Film-Professor von Goebbels’ Gnaden doch nicht ganz verleugnen …

R Wolfgang Liebeneiner B Georg Hurdalek V Maria Augusta Trapp K Werner Krien M Franz Grothe A Robert Herlth, Gottfried Will S Margot von Schlieffen P Ilse Kubaschewski D Ruth Leuwerik, Hans Holt, Maria Holst, Josef Meinrad, Friedrich Domin | BRD | 103 min | 1:1,37 | f | 10. Oktober 1956

27.9.56

Anastasia, die letzte Zarentochter (Falk Harnack, 1956)

In einer Nacht des Jahres 1920 springt eine Frau in den Berliner Landwehrkanal. Der Suizid mißlingt. Die Lebensmüde wird aus dem Wasser gefischt. Name und Herkunft der verhinderten Selbstmörderin, die keinerlei Fragen beantwortet, die jedermann nur aus verschreckten Augen anblickt, liegen im Dunkeln, bis sie anhand eines Illustriertenfotos erkannt wird: als einzige Überlebende der Erschießung der Zarenfamilie durch die Bolschewisten … Ob die Unbekannte aus dem Kanal tatsächlich Anastasia ist oder eine neurotische Hochstaplerin, die sich ihre Kenntnisse über das Leben am Petersburger Hof aus Zeitungsberichten zusammenstückelte, bleibt offen. So oder so erscheint die Titelheldin als Musterbild einer aus den Fugen geratenen Epoche, die Lebensläufe zerpflückt und Persönlichkeiten schreddert; die Identitätsfrage tritt im selben Maße in den Hintergrund, wie »Anastasia« zum Spielball von familiären und geschäftlichen Interessen, zum gefälligen Monstrum auf dem Jahrmarkt der Sensationen (gemacht) wird. Leider handeln Falk Harnack (Regie) und Herbert Reinecker (Drehbuch) den symbolischen Fall in genau jenem oberflächlichen Boulevardgeist ab, dem er einst entsprang. Zwar hält Lili Palmer die schillernde Hauptfigur – die mit Ludwig II. sagen könnte: »Ein ewiges Rätsel will ich bleiben mir und anderen.« – zwischen Apathie und Erregung, zwischen Zugehörigkeitsbedürfnis und Weltekel delikat in der Schwebe, doch fast alle anderen Beteiligten des (hochbesetzten) Stückes werden auf ihre dramaturgischen Funktionen reduziert. Lediglich zwei Legenden des deutschen Theaters gelingt es, ihre Kurzauftritte mit (umnachtetem) Leben zu erfüllen: Tilla Durieux als greise Zarenmutter, die sich in die splendid isolation ihres hermetisch abgeriegelten Geistes zurückgezogen hat, und Lucie Höflich als Insassin einer Nervenklinik, die immer noch die Heimkehr ihres toten Sohnes erwartet – zwei weitere Zeitbeschädigte, zerrieben zwischen Wahn und Wirklichkeit.

R Falk Harnack B Herbert Reinecker K Friedel Behn-Grund M Herbert Trantow A Fritz Maurischat S Kurt Zeunert P Artur Brauner D Lilli Palmer, Ivan Desny, Susanne von Almassy, Tilla Durieux, Lucie Höflich | BRD | 107 min | 1:1,37 | sw | 27. September 1956

Die Halbstarken (Georg Tressler, 1956)

»Hart sein mußte!« So viel Wirklichkeit war selten im bundesdeutschen Film der 1950er Jahre. »Die Halbstarken« zeigt seine jugendlichen Helden da, wo sie ihr Leben leben und sich ein besseres ausmalen: im Hallenbad, in der Eisdiele, im Espresso, an der Tankstelle, aber auch in der engen Wohnung, wo der frustrierte Vater herumpoltert, und im grauen Hinterhof, wo die noch grauere Mutter Wäsche zum Trocknen aufhängt. Die Ansprüche der zornigen jungen Männer (und Frauen) sind, ganz zeitgeistig, vor allem materieller Natur: ein flotter Schlitten, ein großes Haus, das schnelle Geld. Kulturfilmer Georg Tressler (Regie) und Boulevardreporter Will Tremper (Drehbuch) stricken um ihre Figuren zwar eine reichlich klischierte Räuberpistole, aber immer wieder lassen Heinz Pehlkes ungeschönte Berlin-Bilder sowie insbesondere die lebendig skizzierten und gespielten Charaktere den schablonenhaften Plot links liegen: Da ist Freddy Borchert (Horst Buchholz), der juvenile Bandenchef, der seine Unreife und seine vage Sehnsucht nach Geborgenheit hinter Brüllerei und vorgetäuschter Härte versteckt, der durch Imponiergehabe und Herrscherallüre zum Abklatsch des verhaßten Erzeugers wird; da ist Sissy Bohl (Karin Baal), eine proletarische fille fatale, eine nimmersatte Miss Macbeth vom Wedding, die ihren Appetit zum Maß aller Dinge macht. Das mal bedrohlich grinsende, mal ungerührt flunschmündige Rebellentum wirkt wie die Kehrseite des wirtschaftswunderlichen Konsum- und Statusstrebens der Alten. In kurzen Augenblicken scheint den Protagonisten zu dämmern, daß es nicht nur ein Haben gibt sondern auch ein Sein, doch wie es zu realisieren wäre, liegt (noch) jenseits ihrer Vorstellungskraft.

R Georg Tressler B Will Tremper, Georg Tressler K Heinz Pehlke M Martin Böttcher A Lothar Wloch S Wolfgang Flaum P Wenzel Lüdecke D Horst Buchholz, Karin Baal, Christian Doermer, Jo Herbst, Viktoria von Ballasko | BRD | 97 min | 1:1,37 | sw | 27. September 1956

17.9.56

Lust for Life (Vincente Minnelli, 1956)

Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft

Kunst als Widerspiegelung des Lebens – Leben als Widerspiegelung der Kunst: Leiden und Schaffen des (mutmaßlich) manisch-depressiven Malers Vincent van Gogh – vom kurzzeitigen Engagement als Hilfsprediger in einer südbelgischen Bergarbeiterhölle über Ausbrüche von Kreativität und Abstürze ins Elend bis hin zum krähenumflatterten Selbstmord in gleißendem Sonnenlicht. Vincente Minnelli folgt treu dem biographischen Faden und schafft es zugleich – vor allem dank seines Hauptdarstellers Kirk Douglas, der das Innere des getriebenen Künstlers brutal nach außen stülpt –, das fiebrige Portrait eines schöpferischen Menschen zu zeichnen, der in seinem Genie zur totalen (und letztlich tödlichen) Einsamkeit verdammt ist. »I’m a danger to others, I’m a danger to myself«, sagt Vincent einmal zu seinem immer mitfühlenden Bruder Theo (James Donald) – ersetzte man das Wort ›danger‹ durch ›stranger‹, würde auch ein Schuh daraus. Während Anthony Quinn (als von Vincent erträumter Seelen­kumpel Paul Gauguin) eine seiner üblichen Saft-und-Kraft-Vorstellungen abliefert, nähern sich Kamera (Russell Metty und Freddy Young) sowie Szenografie (Preston Ames) formvollendet den van Goghschen Bildwelten, entbehren aber jener rauschhaften Technicolor-Extase früherer Minnelli-Musicals, die hier durchaus am Platze gewesen wäre.

R Vincente Minnelli B Norman Corwin V Irving Shaw K Russell Harlan, Freddie Young M Miklós Rózsa A Preston Ames, Cedric Gibbons S Adrienne Fazan P John Houseman D Kirk Douglas, Anthony Quinn, James Donald, Pamela Brown, Everett Sloane | USA | 122 min | 1:2,35 | f | 17. September 1956

13.9.56

Kitty und die große Welt (Alfred Weidenmann, 1956)

Es fängt damit an, daß dem englischen Außenminister die notorisch ergebnislosen Genfer Gipfelkonferenzen auf den Keks gehen: Von der generellen Fragwürdigkeit seines staatsmännischen Tuns verdrossen, reißt Sir William Ashley (O. E. Hasse) eines Abends ganz einfach aus und macht einen Bummel durch die Stadt, wo er sich (ganz unschuldig natürlich!) mit der zuckersüßen Maniküre Kitty Dupont (Romy Schneider) amüsiert, die (wie könnte es anders sein?) keine Ahnung hat, mit wem sie da ihre Zeit verbringt. Es folgen diverse diplomatische Verwicklungen sowie ein überraschender Verhandlungsdurchbruch aufgrund der (ungewollten) Abwesenheit Seiner Exzellenz während der allesentscheidenden Sitzung. All's well that ends well: Für das süße Mädel steht in Person von Sir Williams Neffen Robert (Karlheinz Böhm) ein äußerst passabler Bräutigam bereit. (Den verliebten Prawda-Reporter Boris (Peer Schmidt) hat Kitty zuvor völkerfreundschaftlich aber bestimmt abge­wiesen.) Einige frotzelnde Dialoge und der leichte Duft von ›Scandale‹ (12 Francs die Flasche), das aufgeräumte Spiel der Darsteller und die munter fließende Inszenierung verleihen Alfred Weidenmanns possierlicher filmischer Nichtigkeit einen sympathischen Zug von politromantischem Idyll, einen hellen Ton von »Genevan Holiday«.

R Alfred Weidenmann B Herbert Reinecker, Johannes Mario Simmel, Emil Burri V Stefan Donat K Helmuth Ashley M Hans-Martin Majewski A Rolf Zehetbauer S Carl Otto Bartning P Wilhelm Sperber D Romy Schneider, O. E. Hasse, Karlheinz Böhm, Peer Schmidt, Ernst Schröder | BRD | 94 min | 1:1,37 | f (nur als sw-Fassung erhalten) | 13. September 1956

11.9.56

Hochzeit auf Immenhof (Volker von Collande, 1956)

»Schenk ihm nur ein Stückchen Zucker, / Denn ein Pony nimmt kein Geld.« Die Rückkehr der reitenden Backfische. Selten begann die Fortsetzung eines heiteren Familienfilms so deprimierend: Oma Jantzens Immenhof ist pleite; am Tor klebt das Pfandsiegel. Angela, die ältere Schwester von Dick und Dalli, hat das Zeitliche gesegnet; Jochen von Roth, ihr kaum Angetrauter, ist schon wieder Witwer. Die Hinterbliebenen leben zusammengepfercht wie die Flüchtlinge im Forsthaus des Gutes. Bis zur Zwangsversteigerung bleiben noch vier Wochen. Rettung verspricht der Umbau des Immenhofes zum Ponyhotel, mithin die Verwandlung des ländlichen Raums in die Kulisse seiner selbst, in eine Illusionsmaschine für zahlende Besucher. Fast scheint es, als fände der Heimatfilm im Ausmalen dieser Geschäftsidee zu seltener, natürlich unausgesprochener, Ehrlichkeit. Die handelsüblichen Drehbuchverwicklungen versorgen den Immenhof schließlich mit einem reichen Onkel und einer glücklichen Zukunft (notabene für einen dritten Teil der Erzählung), die resche Dick mit einem neuen love interest (hübscher Künstler) und den schneidigen Witwer Jochen mit einer neuen Frau (hübsche Erbin). PS: Außer Ponys nehmen alle Geld.

R Volker von Collande B Per Schwenzen V Ursula Bruns K Fritz Arno Wagner M Hans-Martin Majewski A Ernst H. Albrecht, Christian Hermann S Walter von Bonhorst P Gero Wecker D Heidi Brühl, Angelika Meissner, Matthias Fuchs, Margarete Haagen, Paul Klinger, Hans Nielsen | BRD | 94 min | 1:1,37 | f | 11. September 1956

7.9.56

Mein Vater, der Schauspieler (Robert Siodmak, 1956)

Eine Schauspielerehe: Sie (Hilde Krahl) ist eine berühmte Bühnendiva, er (O. W. Fischer) ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent. Gemeinsam feiern sie Erfolge, sie bekommen ein Kind, einen niedlichen Jungen (Oliver Grimm), sie bauen sich ein Haus, eine von diesen modernistischen Traumvillen, die in Magazinen wie »Film und Frau« präsentiert werden. Robert Siodmak tut so (?), als spule er eine beliebige Illustriertenstory ab, läßt voll Ironie (?) wohlbekannte Stereotypen defilieren: den öligen Agenten, den jovialen Intendanten, den aasigen Produzenten, die gutmütige Souffleuse. Dann, langsam, sukzessive – ihr Stern beginnt zu sinken, während er zum populären Kinohelden aufsteigt – gerät die Stimmung in Schieflage, bis die latenten Spannungen – Angst und Frustration, Verunsicherung und Eifersucht – schlagartig explodieren und in einen tödlichen Unfall münden … Nach dem dramaturgischen Schockeffekt zeichnet der zweite Teil von »Mein Vater, der Schauspieler« in stilisierten, gespenstischen Tableaus das Porträt eines Depressiven: Unfähig sich zu artikulieren, gefangen in Zweifel und Schuld, dämmert der nur physisch überlebende Ehemann in seinem leergepfändeten Haus: eine nackte Seele in ausgeräumten, grabesstillen Zimmern. Kurz vor dem unausweichlich scheinenden Ende ist es, wie der Titel dieses irritierend uneinheitlichen, sonderbar sprunghaften Familiendramas ahnen läßt, der kleine Sohn, der seinen Vater aufweckt und ihn zurückholt in die Welt – um sich von ihm sogleich in sicheren (?) Schlaf wiegen zu lassen: »Selig, wer sich vor der Welt / ohne Haß verschließt, / Einen Mann am Busen hält / Und mit dem genießt, / Was, den Menschen unbewußt / Oder wohl veracht, / Durch das Labyrinth der Brust / wandelt in der Nacht.«

R Robert Siodmak B Gina Falckenberg, Maria Matray, Claus Hardt V Hans Grimm K Kurt Hasse M Werner Eisbrenner A Otto Erdmann, Wilhelm Vorweg S Ira Oberberg P Artur Brauner D O. W. Fischer, Hilde Krahl, Oliver Grimm, Peter Capell, Erica Beer | BRD | 106 min | 1:1,37 | sw | 7. September 1956

5.9.56

Beyond a Reasonable Doubt (Fritz Lang, 1956)

Jenseits allen Zweifels

Anders als sein großer Antipode Alfred Hitchcock ist Fritz Lang nicht daran interessiert, Emotionen zu formalisieren. Umgekehrt: Er arbeitet die Emotionen aus den Formen heraus – aus der sachlichen Untersuchung von Strukturen, Konstellationen, Funktionsweisen, Bewegungen erwächst die dramatische Wirkung. »Beyond a Reasonable Doubt« ist ein weiteres dieser präzisen filmischen Diagramme; es wird das letzte bleiben, das Lang in Hollywood realisiert. Kino als Versuchsanordnung: Austin Spencer (Sidney Blackmer), Herausgeber einer Zeitung und erklärter Gegner der Todesstrafe, will einen ungeklärten Mordfall nutzen, um die Fragwürdigkeit von Indizienbeweisen zu belegen. Zusammen mit seinem Starreporter (und Schwiegersohn in spe) Tom Garrett (Dana Andrews) fingiert der Verleger Belastungsmaterial, das Garrett zum Schuldigen stempelt. Nach dem Urteilsspruch soll die Fiktion öffentlich gemacht, die Justiz bloßgestellt werden. Toms Verlobte Susan Spencer (Joan Fontaine) gerät, ohne es zu wissen, in ein tödliches Spiel um Schuld und Verantwortung, Evidenz und Bekenntnis, Planung und Zufall, Anschauung und Wahrheit … Innerhalb seiner kontrollierten Inszenierung zieht Lang alle dramaturgischen Register, macht Gebrauch von plötzlichen Todesfällen, von Briefen, die in letzter Sekunde eintreffen, von plot twists, die so unwahrscheinlich sind wie das Leben selbst. Nicht um einen aufrüttelnden Appell gegen die Todesstrafe geht es ihm dabei, sondern einmal mehr um die ungerührte Analyse der Bedingungen menschlicher Existenz.

R Fritz Lang B Douglas Morrow K William Snyder M Herschel Burke Gilbert A Carroll Clark S Gene Fowler Jr. P Bert Friedlob D Dana Andrews, Joan Fontaine, Sidney Blackmer, Philip Bourneuf, Barbara Nichols | USA | 80 min | 1:2,0 | sw | 5. September 1956

30.8.56

Heute heiratet mein Mann (Kurt Hoffmann, 1956)

Kurt Hoffmann verlegt seine Adaption des Romans der exilierten Wienerin Annemarie Selinko aus dem Kopenhagen des Spätsommers 1939 ins Hamburg der Wirtschaftswunderjahre. Von den zeithistorischen Bezügen der Vorlage (Siegeszug des Nationalsozialismus, Beginn des Zweiten Weltkriegs) befreit, widmet sich die heitere Romanze mit bisweilen lubitschhafter Nonchalance den Liebeswirren zwischen der quirlig-unbekümmerten Modezeichnerin Thesi (Liselotte Pulver), die es fertigbringt, in einem winzigen Täschchen zwei Opernkarten zu verkramen, und dem väterlich-pedantischen Architekten Robert (Johannes Heersters), der die Dame(n) seines Herzens mit artiger Anzüglichkeit »Bumsi« zu nennen pflegt. Einige Zeit nach der einvernehmlichen Scheidung aufgrung wechselseitiger Enttäuschung erfährt Thesi – zufällig beim Zahnarzt – von Roberts neuerlichen Verlobung, bändelt flott mit eins, zwei, drei Herren an, von denen sie einen (Paul Hubschmid als gefälliger Diplomat) beinahe heiratet, bevor sie – nach einem sechswöchigen Scharlach-Intermezzo – erwartungsgemäß zu ihrem Ex zurückfindet. Wie die Heldin experimentiert Hoffmanns bundesdeutsche Variation einer »comedy of remarriage« kokett mit der Flatterhaftigkeit, um zu guter Letzt in den Hafen der Stabilität einzulaufen – nicht ohne nahezulegen, das, was sich in Partnerschaften abspielt, so leicht wie möglich zu nehmen, denn »in der Ehe bleibt man immer zwei Herzen und zwei Seelen«.

R Kurt Hoffmann B Johanna Sibelius, Eberhard Keindorff V Annemarie Selinko K Günther Anders M Hans-Martin Majewski A Robert Herlth S Gertrud Hinz P Georg Witt D Liselotte Pulver, Johannes Heesters, Paul Hubschmid, Charles Regnier, Gustav Knuth | BRD | 95 min | 1:1,37 | sw | 30. August 1956

# 1071 | 21. August 2017

24.8.56

Bob le flambeur (Jean-Pierre Melville, 1956)

Drei Uhr nachts

»Voici tel qu’on vous racontera à Montmartre, la très curieuse histoire de Bob le flambeur.« Nach Jacques Beckers »Touchez pas au grisbi« (1954) und Jules Dassins »Du rififi chez les hommes« (1955) inszeniert Jean-Pierre Melville 1956 den dritten großen heist film des französischen Nachkriegskinos. Während Becker das Geschehen nach einem Raubzug erzählt, Dassin sich dagegen fast vollständig auf den Ablauf eines Einbruches konzentriert, schildert »Bob le flambeur« die Vorgeschichte eines Überfalls – der letztendlich nicht stattfinden wird. Mehr noch als auf die konkreten Vorbereitungen der Tat richtet Melville sein (fast ethnographisches) Augenmerk dabei auf die handelnden Personen, auf ihre Beziehungen zueinander, auf das (zwielichtig-neonglänzende) Milieu, in dem sie gewinnen und verlieren, leben und sterben. Im Zentrum des filmischen Interesses steht Bob: fashionable, silberhaarig, ein (meist glückloser) Spieler, »un vieux jeune homme«; als die finale Pleite droht, plant er den Befreiungsschlag: den ganz großen Coup. In einer (formal stellenweise etwas grobgeschliffenen) Mischung aus genretypischer Stilisierung und impressionistisch-improvisatorischer Prä-Nouvelle-Vague-Ästhetik verbeugt sich Melville einerseits vor seinen amerikanischen Vorbildern, zeichnet zum anderen eine poetische Topographie der Stadt Paris (genauer gesagt: der Gegend von Pigalle) zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen, unternimmt eine intime Seelenschau der Parigot(e)s, folgt ihnen durch die Müdigkeit des Tages in die Leidenschaft(en) der Nacht, zeigt ihre Treubrüche und ihre Kameradschaft, ihre Gier und ihre Generosität. In einer ironischen Schlußpointe beschert Melville seinem Helden den ganz großen Gewinn – freilich nicht unbedingt den, auf welchen Bob, der alte junge Vabanquier, zuvor spekuliert hatte …

R Jean-Pierre Melville B Jean-Pierre Melville, Auguste Le Breton K Henri Decaë M Eddie Barclay, Jo Boyer A Claude Bouxin S Monique Bonnot P Jean-Pierre Melville, Serge Silberman D Roger Duchesne, Isabelle Corey, Daniel Cauchy, André Garet, Guy Decomble | F | 98 min | 1:1,37 | sw | 24. August 1956

16.8.56

Der Hauptmann von Köpenick (Helmut Käutner, 1956)

»Nu lach doch nich immer, dit is doch ernst!« Ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung, ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit – ein »deutsches Märchen« über den Teufelskreis von Korrektheit und Gesetz: »Bei uns geht Recht und Ordnung über alles.« Und darüber steht die Uniform … Die Kritik an Untertanengeist und Gleichschritt (in Zeiten der west- und ostdeutschen Wiederbewaffnung) bleibt in Helmut Käutners beschaulicher Adaption der ewigen wilhelminischen Militärposse um den gebeutelten Schuster Wilhelm Voigt (Heinz Rühmann), den erst der Offiziersrock zum Menschen macht, indes recht dekorativ (die illusionistischen Dekorationen schufen Herbert Kirchhoff und Albrecht Becker) – der sarkastische Beiklang im sentimentalen Berliner Schnodderton liegt wohl weder dem rheinischen Regisseur noch dem Essener Hauptdarsteller im Blut. Bevor die Entlarvung von subalterner Gesinnung schallend weggelacht wird (»Dit is ja unmöchlich!«), darf allerdings eine ganze Kompanie ausgezeichneter Nebendarsteller – unter anderem: Friedrich Domin (als säbelrasselnder Gefängnisdirektor), Walter Giller (als ungerader Schneidersohn), Edith Hancke (als tuberkulöse Untermieterin), Martin Held (als unterwürfiger Oberbürgermeister), Willy A. Kleinau (als kreuzbrave Beamtenseele), Siegfried Lowitz (als serviler Stadtkämmerer), Wolfgang Neuss (als unbelehrbarer Zuchthäusler), Erich Schellow (als reinrassiger Hauptmann) – aufmarschieren und in pointierten Darbietungen mannigfach Talent entfalten.

R Helmut Käutner B Helmut Käutner, Carl Zuckmayer V Carl Zuckmayer K Albert Benitz M Bernhard Eichhorn A Herbert Kirchhoff, Albrecht Becker S Klaus Dudenhöfer P Walter Koppel D Heinz Rühmann, Martin Held, Hannelore Schroth, Erich Schellow, Willy A. Kleinau | BRD | 93 min | 1:1,37 | f | 16. August 1956

2.8.56

Bigger Than Life (Nicholas Ray, 1956)

Eine Handvoll Hoffnung

»God was wrong!« Irgendwo in den 1950er Jahren: Ed Avery (James Mason) ist Lehrer, ein bißchen überheblich und ziemlich unterbezahlt. Mit Frau und Sohn lebt er das Leben, das die Wohlstandsgesellschaft ihm und seinesgleichen gewährt: ein Haus in suburbia, Plakate von unerreichbaren Orten an den Wänden, Bridge-Abende mit sogenannten Freunden – und täglich grüßt der Milchmann. »Let’s face it, we’re dull.« Dann wird Ed krank, todkrank. Nur ein Wundermittel (es handelt sich um Cortison – doch das ist im Grunde nebensächlich) kann ihm helfen – und es hilft. Ed geht es plötzlich besser denn je, er fühlt sich »ten feet tall«. Aber er übertreibt es, schluckt weit mehr als die empfohlene Dosis, entwickelt eine Psychose mit manischen Schüben. Das Grauen, das sich nun Bahn bricht, liegt nicht darin begründet, daß Ed ein anderer würde – nein, er wird er selbst. Das latente Gefühl, etwas Besseres zu sein, zerbricht das fragile Gerüst der Selbstkontrolle: Es läßt Ed nicht nur Dior-Kleider für seine Frau kaufen, es führt ihn bis an jenen Punkt, wo er den eigenen Sohn auf dem Altar seiner Ideale zu opfern bereit ist … Nicholas Ray gibt ein knackscharfes Röntgenbild des real-existierenden Konsumismus – auch damit daß er harmlos-banale Alltagsobjekte (einen Football, einen Milchkrug, einen Fernseher) zu Symbolen des home made terror stilisiert, und so die Nachtschatten hinter der lichten Fassade des (nicht nur) american way of life bloßlegt. PS: Aus seinem Alptraum erwacht Ed übrigens mit den Worten: »Turn out the sun!« – nicht gerade das rundeste happy ending der Filmgeschichte.

R Nicholas Ray B Cyril Hume, Richard Maibaum V Burton Roueche K Joseph MacDonald M David Raksin A Jack Martin Smith, Lyle R. Wheeler S Louis R. Loeffler P James Mason D James Mason, Barbara Rush, Walter Matthau, Christopher Olsen, Robert F. Simon | USA | 95 min | 1:2,55 | f | 2. August 1956

17.7.56

High Society (Charles Walters, 1956)

Die oberen Zehntausend

»What frills, what frocks!
 What furs, what rocks!« Knallbunt-musikalische Reprise einer klassischen sophisticated comedy, die leider (fast) ohne sophisticated Darsteller auskommen muß; am ehesten treffen noch Frank Sinatra und Celeste Holm (als vorwitziges Klatschreporterpaar) den borniert-ironischen Ton, der einst »The Philadelphia Story« champagnerbläschenhaft durchperlte. Charles Walters buchstabiert die bekannte Handlung – gefühlskalt-widerspenstige (reiche) Frau (Grace Kelly) wird an der Seite des liebenswert-schlurigen (reichen) Ex-Gatten (Bing Crosby) doch noch zum Menschen – beinahe wortwörtlich nach; Cole Porter liefert dazu eine Reihe eingängiger Songs – von der zünftigen Schnulze (»True Love«) bis zum geistreichen Couplet (»What a swell party this is!«) –, die sich mehr oder weniger sinnig ins Geschehen fügen. Der mitleidige Seitenblick auf die Sorgen des Geldadels, der sich Landsitze und Dienerschaft wegen hoher Steuerbelastungen bald nicht mehr leisten kann, ist ein besonders schillerndes Beispiel jenes Glamour-Zynismus, mit dem so mancher Traumfabrikant seiner Kundschaft das kleine Glück der Genügsamkeit predigt: »Who wants to be a millionaire?« – »I don’t.«

R Charles Walters B John Patrick V Philip Barry K Paul Vogel M Cole Porter A Cedric Gibbons, Hans Peters S Ralph E. Winters P Sol S. Siegel D Grace Kelly, Bing Crosby, Frank Sinatra, Celeste Holm, John Lund, Louis Armstrong | USA | 111 min | 1:1,85 | f | 17. Juli 1956

# 826 | 11. Januar 2014

12.6.56

A Kiss Before Dying (Gerd Oswald, 1956)

Ein Kuß vor dem Tode

»I'm a man with a shameful, sinister secret.« Bud Corliss (Robert Wagner), Korea-Kriegsheld und Student an einer kleinen Universität in Arizona, hadert mit seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen. Der kompromißlose Aufstiegswille des attraktiven Ehrgeizlings findet sein Ziel in Dorie Kingship (Joanne Woodward), der Tochter eines reichen Kupfergrubenbesitzers. Eine ungeplante Schwangerschaft und Dories Wunsch, die väterliche Vormundschaft abzustreifen, bringen Buds Vorhaben, sich dem strengen Magnaten als idealer Schwiegersohn zu präsentieren, ernsthaft in Gefahr. Ohne jeden Skrupel räumt der geschmeidige Karrierist daraufhin alles Hindernde aus dem Weg … Gerd Oswalds Debütfilm (nach dem Debütroman von Ira Levin) vermißt mit sachlicher Präzision die (selbst-)zerstörerischen Dimensionen des American Dream, zeigt das Doppelgesicht des einst von Jean de Crèvecœur besungenen »neuen Menschen, der nach neuen Prinzipien handelt«. Die Besetzung des kaltblütigen Psychopathen (»Haven't you heard? Love conquers all.«) mit einem archetypischen boy next door, die emotional beherrschte Erzählung in ungekünstelten CinemaScope-Kompositionen und starken, klaren Farben sowie die Inszenierung schwärzester Momente in hellem Sonnenschein verleihen dem späten Film noir ein hohes Maß an ironischer Distanz. Dazu paßt, daß Buds Streben nach Glück ihn schließlich in eben jene Grube führt, von der er immer geträumt hat.

R Gerd Oswald B Lawrence Roman V Ira Levin K Lucien Ballard M Lionel Newman A Addison Hehr S George A. Gittens P Robert L. Jacks D Robert Wagner, Virginia Leith, Joanne Woodward, Jeffrey Hunter, Mary Astor | USA | 94 min | 1:2,35 | f | 12. Juni 1956

# 939 | 5. Februar 2015

1.6.56

The Man Who Knew Too Much (Alfred Hitchcock, 1956)

Der Mann, der zuviel wußte

Die eigentliche, die nacherzählbare Handlung dieses Nervenkitzlers für die ganze Familie ist, wie so häufig bei Alfred Hitchcock, blanker Unsinn; die – Anführungszeichen auf – politische Dimension – Anführungszeichen zu – des Werks hat wenig zu tun mit dem betonierten politischen Klima des Kalten Krieges, atmet vielmehr das Aroma der konfusen Zwischenkriegszeit, jener Jahre, in denen Hitchcock den Stoff entwickelte und erstmals realisierte. Wie kaum ein anderer Regisseur aber versteht es Hitchcock (jedenfalls in seinen genialen Momenten), figürliche Stereotypen und alberne Kolportage zum Anlaß zu nehmen, konkrete filmische Poesie auf die Leinwand zu zaubern. Die zufällige Verwicklung des all-american Ehepaares ›Jo‹ und Ben McKenna (Doris Day und James Stewart) sowie ihres kleinen Sohnes in ein internationales Ränkespiel, das von Marokko nach London führt, wo der Staatsmann eines namenlosen europäischen Landes ermordet werden soll, wird genutzt, um die musterhafte nuclear family den Prinzipien des Thrillers auszuliefern – und zu beobachten, was dabei passiert: Norman Rockwell meets Eric Ambler. Der wohl brillanteste dramaturgische Einfall von »The Man Who Knew Too Much« liegt im Verzicht auf den klassischen Schurken: Den rechtschaffenen McKennas steht, gleichsam spiegelbildlich, ein anderes Paar gegenüber – Lucy und Edward Drayton (Brenda De Banzie und Bernard Miles), scheinbar freundliche Eheleute mittleren Alters, die in der Maske von Entwicklungshelfern oder Geistlichen auftreten, arbeiten für die dunkle Seite der Macht: Sie heuern Attentäter an, entführen Kinder, assistieren Aufrührern und Umstürzlern. Daß Hitchcock alle vier zentralen Charaktere zudem in innere Widersprüche zwischen Stärke und Erschöpfung, Entschiedenheit und Sentimentalität verstrickt, erhöht den Reiz dieser fulminanten Suspense-Dichtung, die ihren Höhepunkt in einer knapp 10minütigen, dialoglosen Konzert-Sequenz in der Royal Albert Hall findet, die Bilder (≈ Außenwelt) und Musik (≈ Innenleben) zu einem kinomagischen Crescendo verschmilzt.

R Alfred Hitchcock B John Michael Hayes V Charles Bennett, D. B. Wyndham-Lewis K Robert Burks M Arthur Benjamin, Bernard Herrmann A Henry Bunstead, Hal Pereira Ko Edith Head S George Tomasini P Alfred Hitchcock D James Stewart, Doris Day, Brenda De Banzie, Bernard Miles, Daniel Gélin | USA | 120 min | 1:1,85 | f | 1. Juni 1956

31.5.56

Die goldene Brücke (Paul Verhoeven, 1956)

Eine Frau (Ruth Leuwerik) zwischen zwei Männern (Paul Hubschmid und Curd Jürgens) – geschmackvoll inszenierter Illustriertenkitsch in gehobenem Milieu (Motorsport, Industrie, Film) oder Allegorie auf seelische Befindlichkeiten im bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder? Vielleicht beides: Paul Verhoeven findet in der Sülze Ansatzpunkte für eine gleichnishafte Gesellschaftsdiagnose … Tima, Opernsängerin und Schauspielerin, ist verheiratet mit Stefan, einem verunfallten Rennfahrer, der sich larmoyant in seinem Scheitern, in der dunklen Vergangenheit verliert; begehrt wird sie von dem charismatischen Autofabrikanten Balder, der nur für seine Projekte, für die strahlende Zukunft lebt. Einem dehnt sich die Zeit qualvoll ins Unendliche, will nicht vergehen, am anderen rast die Zeit vorbei, vernichtet jedes wirkliche Gefühl. So steht Tima, die Verkörperung der Sehnsucht nach Gegenwart, zwischen der Gefangenschaft im Gestern und der Flucht ins Morgen. Am Ende bietet »Die goldene Brücke« dem Trio kolportagehafte Läuterung: Einer findet sein gehobenes Selbst, zwei finden (wieder) zueinander, und alle drei finden den Überweg ins Heute.

R Paul Verhoeven B Juliane Kay, Werner P. Zibaso V Lajos Zilahy K Werner Krien M Franz Grothe A Max Mellin, Rolf Englert S Gertrud Hinz-Nischwitz P Utz Utermann D Ruth Leuwerik, Curd Jürgens, Paul Hubschmidt, Rudolf Vogel, Adrienne Gessner | BRD | 101 min | 1:1,66 | sw | 31. Mai 1956

19.5.56

The Killing (Stanley Kubrick, 1956)

Die Rechnung ging nicht auf

Von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens wußte schon Brecht ein Liedchen zu singen, und Pascal merkte an, daß Gott zum Lachen zu bringen wäre, indem man ihm von seinen Plänen erzählte. Stanley Kubrick exemplifiziert die Unwägbarkeit aller Vorhaben an minutiöser Vorbereitung und kaltblütiger Durchführung des Überfalls auf den Kassenraum einer Pferderennbahn, ein ehrgeiziges Unternehmen, das nach scheinbarem Triumph auf absurd-verhängnisvolle Weise fehlschlägt ... Angelehnt an John Hustons Noir-Klassiker »The Asphalt Jungle« – und mit demselben Darsteller in der Hauptrolle (Sterling Hayden als Johnny Clay) –, präsentiert »The Killing« die Abläufe des Verbrechens und die daran beteiligten Personen in einer wirkungsvollen Mischung aus dokumentarischem Realismus und fast karikaturesker Überzeichnung: die Erzählung springt spannungssteigernd vor und zurück, der hold-up wird nacheinander aus drei verschiedenen Perspektiven gezeigt, wobei ein schnarrender Kommentar für (theoretische) Übersicht sorgt; aufreizend präzise Zeit- und Ortsangaben kontrastieren mit typisierten Figuren, deren jeweilige Charakterzüge die Handlung in entscheidenden Momenten (zumeist ungut) beeinflussen. Kubricks kalter Blick auf Menschen als Teile eines Puzzlespiels (das sich letztlich nicht zusammensetzen läßt), als Glieder eines Räderwerks (dem Zufall oder Schicksal ins Getriebe greifen) findet seine optische Entsprechung in den häufig verkanteten Einstellungen, in härtestem Schwarzweiß, im extensiven Einsatz von Weitwinkel und Tiefenschärfe. Der Schluß (»Just a bad joke without a punch line.«) liefert ein Beispiel für die finstere Ironie des Regisseurs: ein defektes Kofferschloß, ein aufgeregter Köter, der Luftstrom eines Flugzeugpropellers, und alle Träume werden vom Winde verweht. Der Arglist des Fatums ist nur mit Gleichmut zu begegnen: »Johnny, you’ve got to run!« – »What’s the difference?«

R Stanley Kubrick B Stanley Kubrick, Jim Thompson V Lionel White K Lucien Ballard M Gerald Fried A Ruth Sobotka S Betty Steinberg P James B. Harris D Sterling Hayden, Mary Windsor, Elisha Cook Jr., Vince Edwards, Coleen Gray | USA | 85 min | 1:1,37 | sw | 19. Mai 1956

# 1063 | 19. Juli 2017

17.5.56

Eine Berliner Romanze (Gerhard Klein, 1956)

Eine kleine Geschichte: Junge trifft Mädchen; zuerst kann sie ihn nicht leiden; er läßt nicht locker; sie erliegt seinem forschen Charme. Eine kleine Geschichte, aber sie spielt in einer politisch geteilten Stadt. Berlin, Mitte der 1950er Jahre: Hans (Ulrich Thein) wohnt im Westen, hat keinen Job doch große Pläne im Kopf; Christel (Annekathrin Bürger) wohnt im Osten, lernt Verkäuferin im HO-Bekleidungshaus am Alex, wäre aber lieber Mannequin am Kudamm ... Nach ihrer ersten Zusammenarbeit, dem Jugendkrimi »Alarm im Zirkus«, setzen Regisseur Gerhard Klein und Autor Wolfgang Kohlhaase die Reihe ihrer neorealistisch inspirierten Berlin-Filme mit einer unprätentiösen Romanze fort: lebensnahe Szenen, stimmungsvoll fotografiert, an alltäglichen Schauplätzen, auf Höfen und in Hausfluren, in der Boxarena und im Kino, auf dem Rummelplatz und am Spreeufer. Die besonderen Lebensumstände werden ohne ideologischen Schaum vorm Mund geschildert, wenn auch der Standpunkt der Betrachtung eindeutig ist: drüben Existenzsorgen und falsche Verlockung, hüben Chancen und solidarische Gemeinschaft. Während die abgehärmte Westmutter nur schimpft und zetert, haben die streng-gerechten Osteltern (Erika Dunkelman und Erich Franz – die idealproletarischen Defa-Eheleute) außer gutgemeinten Vorwürfen auch herzliches Verständnis zu bieten. Keine Frage also, wohin der Weg des jungen Paares führen wird: »Miteinander werden sie ihren Platz finden, Uschi und Hans, mitten in unserem Leben, in dem es Arbeit gibt, Kämpfe und Liebe.«

R Gerhard Klein B Wolfgang Kohlhaase K Wolf Göthe M Günter Klück A Karl Schneider S Ursula Kahlbaum P Hans-Joachim Schoeppe D Annekathrin Bürger, Ulrich Thein, Erika Dunkelmann, Erich Franz, Marga Legal | DDR | 80 min | 1:1,37 | sw | 17. Mai 1956

# 1050 | 16. Mai 2017

16.5.56

While the City Sleeps (Fritz Lang, 1956)

Die Bestie

Sarkastisch verknüpft Fritz Lang die Fahndung nach einem psychopathischen Frauenmörder und die Ränke in einem New Yorker Medienkonzern zu einem ironischen Noir-Drama: Nachdem der Chef der Kyne Corporation, ein Pressezar alter Schule, der noch auf dem Sterbebettt knallige Schlagzeilen diktiert, das Zeitliche gesegnet hat, übernimmt dessen blasierter Sohn (Vincent Price) das Ruder und ruft einen Wettbewerb um die Stellung eines executive directors aus: Derjenige der leitenden Mitarbeiter des Unternehmens, der den Kopf des brutalen Killers bringt, soll den begehrten Posten besetzen. Zwischen Menschenjagd und Redaktionskabalen steht Vollblut-Reporter und Pulitzer-Preisträger Ed Mobley (Dana Andrews), der nur seiner journalistischen Moral verpflichtet ist – einer Moral, die es ihm gleichwohl gestattet das Leben der eigenen Freundin zu riskieren, um den gesuchten Verbrecher in eine Falle zu locken. Im gleichmäßigen High-key-Licht seines knochentrockenen Spätwerks beobachtet Lang – durch die gläsernen Wände des Newsrooms und am langen Tresen einer nahegelegenen Kellerbar – das Rattenrennen der Intriganten: Am Beispiel von Gestalten wie dem grobschrötigen Chefredakteurs (Thomas Mitchell), dem gelackten Nachrichtenagenten (George Sanders), der verführerischen Kolumnistin (Ida Lupino) desavouiert »While the City Sleeps« das hehre Ethos der vierten Macht distanziert-genüßlich als eitles Spiel um Rang und Geltung.

R Fritz Lang B Casey Robinson V Charles Einstein K Ernest Laszlo M Herschel Burke Gilbert A Carroll Clark S Gene Fowler Jn. P Bert Friedlob D Dana Andrews, George Sanders, Thomas Mitchell, Ida Lupino, Vincent Price | USA | 100 min | 1:1,85 | sw | 16. Mai 1956

8.5.56

Nuit et brouillard (Alain Resnais, 1956)

Nacht und Nebel

»Premier regard sur le camp: 
C’est une autre planète.« Kein Film über die nationalsozialistische Weltanschauung. Kein Film über Antisemitismus. Ein Film über die industrielle Vernichtung von Menschen. Ein Film über die Mechanik und das Mysterium des Bösen. Dabei kein abstrakter Film ohne historische Verortung. Dabei ein konkreter Film voller erschütternder Details. Keine Dokumentation. Literatur. Keine Reportage. Kunst. 1933. 1942. 1945. Belsen. Dachau. Auschwitz. Die Tat: historische Bilder des Geschehens, schwarz-weiß, Anschauungsmaterial aus einer ewigen Gegenwart, Wachtürme, Züge, Schergen, Todgeweihte, Zyklon B, Berge von Haaren, Köpfen, Leibern. Die Erinnerung an die Tat: Bilder des historischen Ortes, Farbe, langsame gleitende Fahrten entlang der unbegreiflichen Vergangenheit, das Gras zwischen den Schienen, elektrische Zäune ohne Strom, Kratzspuren im Beton, Betten aus Backstein, Latrinen, Öfen, Schornsteine. Und die schreckliche Gewißheit: Jede Straße kann in ein Konzentrationslager führen. Noch. Immer.

R Alain Resnais B Jean Cayrol K Ghislain Cloquet, Sacha Vierny M Hanns Eisler S Alain Resnais P Anatole Dauman, Samy Halfon, Philippe Lifchitz Spr Michel Bouquet | F | 32 min | 1:1,37 | sw & f | 8. Mai 1956

5.5.56

Le mystère Picasso (Henri-Georges Clouzot, 1956)

Picasso

Was geschieht im Kopf eines Künstlers, während er künstlerisch tätig ist? Henri-Georges Clouzot will nichts anderes aufdecken als jenen »mécanisme secret qui guide le créateur dans son aventure périlleuse«. Einem Dichter beim Dichten zuzusehen oder einen Komponisten beim Komponieren, verriete nichts vom Mysterium der Kreativität, ließe nichts ahnen von den gefahrvollen Abenteuern der Imagination – aber einem Maler käme man, vielleicht, auf die Schliche, indem man seiner Hand folgte. »Le mystère Picasso« dokumentiert, wie Bilder von Pablo Picasso entstehen. Die Leinwand des Kinos wird zur Leinwand des Malers. Es sind nicht nur Meisterwerke, die geschaffen werden, der Künstler geht auch in die Irre, verwirft, setzt neu an, tastet sich wie ein Blinder durch das Labyrinth der Möglichkeiten. Clouzot, ausgewiesener Fachmann für Spannungsmechanik, hält sich auffallend zurück. Einmal fordert er den Maler heraus, indem er ihn (sichtbar inszeniert) gegen den Zählwerk der Kamera antreten läßt: »Attention, il te reste deux minutes pour la couleur!« Ansonsten beschränkt er sich auf sachliche Zeugenschaft und dezent ironisches Spiel mit den Möglichkeiten des Mediums. Wenn Picasso ausruft: »Donne-moi une grande toile!«, verbreitert Clouzot die Projektionsfläche auf CinemaScope-Format … Eine anregende Studie des schöpferischen Geistes, ohne Theoretisieren, ohne überflüssiges Beiwerk. Nachdem er gut 20 Bilder gemalt hat, steht der Künstler auf und sagt: »Eh bien, c’est fini.« Der Film ist zu Ende, »Le mystère Picasso« bewahrt sein Geheimnis.

R Henri-Georges Clouzot K Claude Renoir M Georges Auric S Henri Colpi P Henri-Georges Clouzot D Pablo Picasso | F | 78 min | 1:1,37/1:2,35 | sw/f | 5. Mai 1956

# 902 | 17. August 2014

4.5.56

Viele kamen vorbei (Peter Pewas, 1956)

Schon im ersten Bild wird der Mann vorgestellt. Er heißt Reschke. Er ist ein Serienmörder. Entlang der Autobahn erwürgt er junge Frauen, alle vom gleichen Typ, blond, kindlich, nicht ohne Abenteuerlust. Warum Reschke mordet, bleibt ebenso rätselhaft wie die Wahl des Tatortes. »Die Autobahn hat es ihm angetan.« Harald Maresch, ein Darsteller von viriler Hübschheit, spielt Reschke als monströse Spukgestalt, die heimatlos von Verbrechen zu Verbrechen hetzt. Der Film erzählt eine Mordnacht nacheinander aus drei Perspektiven: aus der eines Opfers, einer halbwüchsigen Ausreißerin, die per Anhalter zu ihrem geliebten Freund fahren will, aus der des Täters und aus der des ermittelnden Kommissars; die recht elegante Konstruktion konterkariert Drehbuchautor (und Produzent) Gerhart T. Buchholz indes durch eine penetrante Erzählerstimme, die alles, was von den Schauspielern mit stummfilmhafter Eindringlichkeit gemimt wird, in klobigster Groschenheftsprache verdoppelt und dadurch oft genug unfreiwillig veralbert. Wundersamerweise schaffen es Peter Pewas’ stilisierte Inszenierung und die lyrisch-expressiven Schwarzweiß-Bilder des Kameramannes Klaus von Rautenfeld – mittels unheimlicher Schattenspiele und vorbeihuschender Lichter, ziehender Nebelschwaden und irrer Blicke des Totmachers –, Buchholz’ ehrgeizig-plumpen B-Thriller (zumindest streckenweise) in ein schwarzes Horrormärchen von bezaubernder Naivität zu verwandeln.

R Peter Pewas B Gerhard T. Buchholz K Klaus von Rautenfeld M Peter Sandloff A Alf Bütow S Wolfgang Pflaum P Gerhard T. Buchholz D Harald Maresch, Frances Martin, Christian Doermer, Harald Schimmelpfennig, Alf Marholm | BRD | 85 min | 1:1,37 | sw | 4. Mai 1956

# 971 | 3. Oktober 2015

13.4.56

Voici le temps des assassins (Julien Duvivier, 1956)

Der Engel, der ein Teufel war 

Rabenschwarze französische Variation des John-M.-Cain-Klassikers von der verführerisch-lebensgefährlichen Frau (Danièle Delorme), die den treuherzigen Jungen (Gérard Blain) gegen den leichtsinnigen Alten (Jean Gabin) aufhetzt (genauer gesagt: aufhetzen will). In diesem trüben Fall bringt das Verhängnis nicht der zweimal klingelnde Postbote sondern die totgeglaubte Exfrau eines renommierten Gastronomen, die dem Verflossenen ihre Tochter aus zweiter Ehe als Nemesis an den Hals schickt. Mit so viel liebevollem Lokalkolorit Julien Duvivier das Milieu von Les Halles zeichnet – direkt neben dem legendären ›Bauch von Paris‹ betreibt M. Chatelin (Gabin) sein Restaurant »Au Rendez-vous des Innocents« (!) –, mit so viel unsentimentaler Frostigkeit porträtiert er die Protagonisten der Handlung, die Männer wie die Frauen: den bourgeoisen Macho, der sich blind aufs Frischfleisch wirft, seine gallenbittere Mutter (Germaine Kerjean), die Hühner mit der Peitsche schlachtet, den Naivling, der sich (beinahe) gegen den alten Freund und Gönner ausspielen läßt, die hübsche Intrigantin, die ganz ihrer zerstörerischen Lust lebt, ihre haßzerfressene Mutter (Lucienne Bogaert), die sich in einem schmuddligen Hotelbett mit Drogen vollpumpt. Das Ende vom Lied – ein schnuffiger Köter sorgt für ausgleichende Gerechtigkeit – kommt so zwangsläufig wie brutal. Henri-Georges Clouzot, dessen Stammkameramann Armand Thirard auch diese hermetische Etüde über die Bestie Mensch (und Hund) fotografierte, dürfte an »Voici le temps des assassins« seine dunkle misanthropische Freude gehabt haben.

R Julien Duvivier B Julien Duvivier, Charles Dorat, Pierre-Aristide Bréal K Armand Thirard M Jean Wiener A Robert Gys S Marthe Poncin P Raymond Borderie, Georges Agiman, René Bézard, Pierre Cabaud D Jean Gabin, Danièle Delorme, Gérard Blain, Lucienne Bogaert, Germaine Kerjean | F | 113 min | 1:1,37 | sw | 13. April 1956

10.4.56

Cette sacrée gamine (Michel Boisrond, 1956)

Pariser Luft 

Ein bißchen Romantik und ein paar Musiknummern, ein Hauch von sex and crime und BB als Mittelpunkt (eigentlich eine Tautologie) einer stussigen kleinen Nachtrevue: Ihr Vater, Besitzer eines Pariser Cabarets, wegen Geldfälschung (zu Unrecht) verfolgt, gibt die kesse Tochter in Obhut seines Stars, eines umschwärmten (und anderweitig verlobten) Chansonniers, der mit dem flotten Käfer viel Ungemach und noch mehr Freude hat ... Regisseur Michel Boisrond und Autor Roger Vadim (Brigitte Bardots Ehemann und Svengali) exploitieren (höchst sittsam) die raffinierte Naivität und das schulmädchenhafte Temperament ihres (werdenden) Stars. »Cette sacrée gamine« panscht munter effektive Tür-auf-Tür-zu-Dramatik mit handfestem Slapstick – die eigentliche Qualität des Films liegt jedoch (wenn überhaupt) in den pointierten Nebenrollen: Michel Serrault und Jean Poiret steigern sich als Polizei-Inspektoren in lukullische Phantasien, Raymond Bussières tut – in der Rolle eines erlesen-proletarischen Butlers – vornehmer, als es Herrschaften je sein könnten.

R Michel Boisrond B Roger Vadim, Michel Boisrond K Joseph Brun M Henri Crolla, René Denoncin, Hubert Rostaing A Jacques Chalvet S Jacques Mavel P Albert Mazaleyrat, Georges Sénamaud D Brigitte Bardot, Jean Bretonnière, Michel Serrault, Jean Poiret, Raymond Bussières | F | 86 min | 1:2,35 | f | 10. April 1956

23.2.56

Ein Herz schlägt für Erika (Harald Reinl, 1956)

»Glück kann man nicht erzwingen, aber man kann es adoptieren.« Eine lupenreine Schnulze, von Harald Reinl nicht ohne gemütvollen Witz inszeniert. Anna Hartwig (Grethe Weiser) führt mit fester Hand und weichem Herzen ein traditionsreiches Bauunternehmen. Die Firma prosperiert (kein Wunder in Zeiten des Wiederaufbaus), und doch fehlt der patenten Geschäftsfrau, der allseits beliebten Chefin etwas Entscheidendes zum Lebensglück: ein Kind. Einen Mann, der es ihr machen könnte, ziehen weder die alleinstehende Anna noch die Autoren des Films in Erwägung – also holt sich die verhinderte Mutter ein Waisenmädchen ins Haus. Die kleine Erika Kayser (Christine Kaufmann), zuckersüß, aufgeweckt und genügsam, hätte darob allen Grund zur Freude, müßte sie nicht ihre drei ebenso reizenden Brüder im Kinderheim zurücklassen … Natürlich bekommen am Ende des possierlichen Rührstücks alle genau das, was sie sich inniglich wünschen, natürlich geht die Haupthandlung (gewürzt mit ein paar Intrigen, einigen Slapstick-Einlagen und viel Sentimentalität) weitgehend absehbar vonstatten, aber Reinl dreht netterweise auch die eine oder andere überflüssige Pirouette – etwa indem er amüsierte Seitenblicke auf einen verliebten Lebensmittelhändler wirft, der sein Herz in Form von Harzer Käse verschenkt.

R Harald Reinl B Maria von der Osten-Sacken, Walter Forster K Erich Claunigk M Lother Brühne A Willi A. Herrmann, Heinrich Weidemann S Johanna Meisel P Maria von der Osten-Sacken D Christine Kaufmann, Grethe Weiser, Gert Fröbe, Ingrid Stenn, Wolfgang Büttner | BRD | 92 min | 1:1,37 | sw | 23. Februar 1956

# 914 | 18. Oktober 2014

16.2.56

Ein Mädchen aus Flandern (Helmut Käutner, 1956)

»… wie strapaziös es ist, ein Mensch zu sein.« Im Herbst 1914 trifft der deutsche Soldat und Generalssohn Alexander Haller (Maximilian Schell) im Gasthof eines flandrischen Dorfes das Mädchen Angeline (Nicole Berger), die er Engele nennt – Beginn einer Liebe in den Zeiten des Krieges. Immer wieder werden die beiden, zum Teil jahrelang, voneinander getrennt, immer wieder treffen sie zusammen, schließlich, Ende Oktober 1918, in Brüssel, wo Engele als Zigarettenfräulein in einem Offiziersbordell gelandet ist, und Alexander in die Aktivitäten einer Widerstandsgruppe verwickelt wird … Einmal mehr schildert Helmut Käutner, stets teilnehmend, hin und wieder etwas deklamatorisch, eine innige Bindung, die vom Sturm äußerer Ereignisse umtost wird, zeigt das obligate romantische Nachtlager in einer Scheunenkammer, das schwärmerische Erkennen über Sprachgrenzen und Fronten hinweg, erzählt von der Unschuld, an der die Gemeinheit wesensgemäß abperlt, vom verfluchten, kostbaren Idealismus, Todesdroge für die einen, Lebenselixier für die anderen. Dabei gelingen Käutner ganz unsentimentale, überaus anschauliche Genreszenen: ein verschwitzter Schwof im rustikalen Wirtshaus »Zu den Paradiesäpfeln«, die fanatische Lustigkeit im plüschigen Edelpuff »La Gaîté«, ein bizarres Kriegsgerichtsverfahren im Angesicht der Niederlage, der ruhmlose Abzug der deutschen Besatzungstruppen an einem trüben Novembertag. Neben Schells verklärter Beherztheit und Bergers spröder Natürlichkeit gestalten Victor de Kowa, Gert Fröbe und Friedrich Domin lebendige Nebenfiguren: einen undurchsichtigen Mittelsmann, eine lärmige Etappensau, einen in militärischem Denken befangenen, hilflos liebenden Vater.

R Helmut Käutner B Heinz Pauck, Helmut Käutner V Carl Zuckmayer K Friedel Behn-Grund M Bernhard Eichhorn A Emil Hasler S Anneliese Schönnenbeck P Herbert Uhlich D Nicole Berger, Maximilian Schell, Victor de Kowa, Friedrich Domin, Anneliese Römer, Gert Fröbe | BRD | 108 min | 1:1,37 | sw | 16. Februar 1956

# 889 | 28. Juni 2014

18.1.56

Marguerite de la nuit (Claude Autant-Lara, 1956)

Die Blume der Nacht

Claude Autant-Laras artifizielle Technicolor-Adaption des Fauststoffes verlegt das bekannte Geschehen ins Paris der 1920er Jahre: Nach einem Opernbesuch (auf dem Programm stand »Faust« von Charles Gounod!) wird der greise Doktor Georges Faust von einem auffällig hinkenden Elegant (Yves Montand) angesprochen, der den Alten (nicht ohne Hintergedanken) in einen Nachtclub lockt. Eine glühend rote Treppe führt hinab ins Reich des Vergnügens, wo Faust sogleich der elegisch-schönen Sängerin Marguerite (Michèle Morgan) verfällt, und für die Wiedergewinnung von Jugend und Schönheit dem Teufel seine Seele verkauft … Autant-Lara entkleidet (oder beraubt) die Legende aller metaphysischen Aspekte zugunsten der ihr innewohnenden melodramatischen Möglichkeiten: Sein Film erzählt die Geschichte einer großen, ultimativ bedrohten Liebe, derer sich eine Seite nicht würdig erweist und wegen Kleinmütigkeit zu einem einsamen, glücklosen Leben verdammt wird, während die andere für ihre übermenschliche Opferbereitschaft den ewigen Frieden gewinnt. Neben den unbestreitbaren sentimentalen Qualitäten der Fabel ist »Marguerite de la nuit« in erster Linie das Werk eines ehemaligen Bühnenbildners – Autant-Lara schuf Dekorationen für Jean Renoir, René Clair und Marcel L’Herbier –: Die ultrakünstlichen, an Revuekulissen ebenso wie an Stummfilmszenerien erinnernden Studiobauten von Max Douy präsentieren sich als eigentlicher Star dieser ambitionierten (und etwas zerdehnten) Stilübung.

R Claude Autant-Lara B Ghislaine Autant-Lara, Gabriel Arout V Pierre Mac Orlan K Jacques Natteau M René Cloërec A Max Douy S Madeleine Gug P Léon Carré D Michèle Morgan, Yves Montand, Pierre Palau, Massimo Girotti, Jean-François Calvé | F | 125 min | 1:1,37 | f | 18. Januar 1956

5.1.56

Teufel in Seide (Rolf Hansen, 1956)

»Vorsicht, die Flut kommt!« Ein scheinbar vollkommen künstliches Melodram, das überdimensionale Gefühle in synthetischen (von Robert Herlth gebauten) Studioräumen ausstellt. Lilli Palmer spielt die Titelrolle, den »Teufel in Seide«, eine Frau von Welt (und Geld), die mit absoluter Ausschließlichkeit liebt, die dem begehrten Gegenüber im totalen Geben noch das Letzte nimmt, die der zerstörerischen Erfüllung ihrer Hingabe alles unterordnet, auch das eigene Leben. Curd Jürgens spielt das Objekt und Opfer dieser Liebe, einen redlichen (und, wie es sich gehört, brotlosen) Künstler, einen naiven Koloß, der unter dem massiven Beschuß von fataler Leidenschaft ins Wanken gerät. In präsenten Nebenrollen, dennoch fast zermahlen von der tödlichen Mechanik der Gefühle: Winnie Markus als Eule, die zur Nachtigall wird; Hilde Körber als Dienstmädchen, das die seelischen Klüfte der Herrschaft kennt; Adelheid Seeck als allwissende Schwester; Hans Nielsen als emphatischer Anwalt … Rolf Hansen verzahnt wirkungsvoll Schnulze und Krimi, Gewissensdrama und Gerichtsfilm, formt (basierend auf einem Roman von Gina Kaus) stilbewußt eine (beinahe) katastrophische Kolportage um Schuld und Gewissen, Berechnung und Mitleid, eine tragische Farce der (selbst-)mörderischen emotionalen Verstrickung. Nach wundersamer Entlastung in letzter Minute schließt der Film mit einer so frommen wie fragwürdigen Überzeugung: »Wenn man den Abgrund kennt, geht man sicherer.« Hier spricht wohl ein Volk, das eben noch klaren Sinnes in die Tiefe des Verderbens sprang, tröstend zu sich selbst.

R Rolf Hansen B Jochen Huth V Gina Kaus K Franz Weihmayr M Mark Lothar A Robert Herlth S Anna Höllering P Heinz Abel D Lilli Palmer, Curd Jürgens, Winnie Markus, Adelheid Seeck, Hilde Körber | BRD | 104 min | 1:1,66 | sw | 5. Januar 1956