24.4.47

Black Narcissus (Michael Powell & Emeric Pressburger, 1947)

Die schwarze Narzisse 

Ein Kloster hoch oben in der kristallklaren Luft des Himalaya – einst lebten in dem abgelegenen Kastell die Frauen eines indischen Fürsten, nun beginnen dort fünf Schwestern eines anglikanischen Ordens ihr tätiges Werk zur schulischen Erziehung und medizinischen Versorgung der örtlichen Jugend. Die Isolierung in majestätisch-abweisender Natur und exotisch-fremder Gesittung konfrontiert die europäischen Nonnen mit längst überwunden geglaubten Anfechtungen: Der Zusammenhalt der kleinen Gruppe zerfällt in individuelle Sinnkrisen, unterdrückte Leidenschaften brechen sich Bahn, selbst die so willensstark scheinende sister superior (Deborah Kerr) schaut schließlich hilflos-entsetzt in den Abgrund ihres eigenen tiefen Zwiespalts … Schauplatz ist eine jener grandiosen inneren Landschaften, die nur das Kino schaffen kann: Von Ausstatter Alfred Junge komplett im Studio errichtet, von Kameramann Jack Cardiff mit bald beherrscht-eisiger, bald sinnlich-lodernder Technicolor-Farbigkeit durchflutet, wird die ständig von einem schneidenden Wind durchwehte Gebirgseinsamkeit zum szenischen Abbild der dramatischen Konflikte zwischen (Selbst-)Kontrolle und (Fremd-)Erregung, zwischen (religiöser) Gefaßtheit und (körperlicher) Ekstase. Mit »Black Narcissus« gestalten Powell und Pressburger einen Film der expressiven (und existentiellen) Kontraste: reinweiße Nonnentracht gegen eine gebräunte Männerbrust, spirituelle Blässe gegen einen knallrot geschminkter Mund, Gemüse gegen Blumen, Zivilisation gegen Instinkte. Und über allem thront der alte heilige Mann, schweigt beharrlich, denkt sich seinen Teil – oder auch nicht.

R Michael Powell, Emeric Pressburger B Michael Powell, Emeric Pressburger V Rumer Godden K Jack Cardiff M Brian Easdale A Alfred Junge S Reginald Mills P Michael Powell, Emeric Pressburger D Deborah Kerr, Kathleen Byron, David Farrar, Flora Robson, Sabu | UK | 100 min | 1:1,37 | f | 24. April 1947

11.4.47

Monsieur Verdoux (Charles Chaplin, 1947)

Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris

»As a mass killer, I am an amateur.« In der letzten Einstellung entfernt sich Charlie Chaplin, mit dem Rücken zur Kamera, langsam vom Zuschauer, so wie er es in seinen früheren Filmen immer wieder getan hat. Aber in diesem Falle geht er nicht stöckchenschwingend mit kleinen Ausfallhüpfern, sondern schweren Schrittes mit auf den Rücken gefesselten Händen. Er ist nicht mehr der Tramp auf dem Weg ohne Ende, sondern ein verurteilter Frauenmörder, der zum Schafott geführt wird. Der Anfang des Films hatte über diesen Ausgang keinen Zweifel gelassen: »Monsieur Verdoux« beginnt mit dem Grabstein desselben und mit der Stimme des Toten, der anhebt, die eigene Geschichte zu erzählen … »Based on an idea by Orson Welles« heißt es im Vorspann, und vielleicht könnte diese »comedy of murders« auch den Titel »Citizen Verdoux« tragen, denn wie Charles Foster Kane, der berühmte (Anti-)Held einer amerikanischen »Erfolgs«story, ist Henri Verdoux ein Archetyp: ein guter Bürger, der aus materieller Not (und intellektueller Befähigung) zum Reisenden in Sachen Gewaltverbrechen wird. In schmucklos kalten Bildern entrollt Chaplin die (von den Taten des französischen Serienmörders Henri Désiré Landru inspirierte) Biographie eines Rosenzüchters und Philosophen, eines liebenden Familienvaters und Gelegenheitsmenschenfreunds, der dem Töten als Geschäft nachgeht, bis er erkennen muß, daß er, in Zeiten von Wirtschaftskrisen und sozialen Konflikten, von Weltkriegen und Massenvernichtungswaffen, sein Business in viel zu kleinem Maßstab betrieben hat: »One murder makes a villain; millions, a hero. Numbers sanctify.«

R Charles Chaplin B Charles Chaplin K Roland Totheroh M Charles Chaplin A John Beckman S Willard Nico P Charles Chaplin D Charles Chaplin, Martha Raye, Isobel Elsom, Marilyn Nash, Mady Correll, Robert Lewis | USA | 124 min | 1:1,37 | sw | 11. April 1947

# 957 | 29. Juni 2015